Danke, Thomas Mann (1)

Albina Hovhera

von Albina Hovhera

Story

„Russian Caviar, made in Astrachan”, las ich kürzlich in der Auslage eines Gourmetladens in München. Mit dem „schwarzen Gold“, so nannte man den Kaviar in Astrachan, sind viele Erinnerungen an meine Jugendzeit verbunden. Denn der Kaviar war damals unsere einzige Währung, die viele Probleme lösen konnte, aber auch viele neue entstehen ließ.

In den “wilden 90-Jahren”, als die Sowjetunion bereits zerfiel und das neue Russland noch im Geburtskanal der Demokratie steckte, herrschte überall ein totales Chaos. Ich war Studentin und kämpfte verzweifelt mit der Armutsmisere. Vergeblich suchte ich nach einem Job – es hat keinen gegeben. Jemand hat mir geraten, das Geld in eine Finanzpyramide zu investieren. „Ich will ja Geld verdienen und nicht ausgeben”, lehnte ich den Vorschlag ab. Irgendwann gab ich die sinnlose Suche auf und verkroch mich hinter den Bücherbergen. „Die größten Denker der Geschichte waren auch arm“, redete ich mir ein und fiel erleichtert ins Lesekoma.

So schwebte ich monatelang auf den trügerischen Wolken des Idealismus. Dann kam der Winter und die Realität ließ sich nicht mehr ignorieren: Meine alten Stiefel stellten verräterisch ihr Inneres zur Schau, die Strumpfhosen zeigten die Risse und der Magen rebellierte gegen die monatelange Zufuhr von Instant-Nudeln. Es war unvermeidbar – ich musste irgendwo das Geld auftreiben. „Wir können irgendwas verkaufen”, schlug meine Freundin Olga vor.„Um irgendwas zu verkaufen, muss man zuerst irgendwasbesitzen”,meldete sich zum Wort mein bodenständiges Wesen.

Olgas „brillante“ Idee, den Kaviar nach Moskau zu schmuggeln, um ihn dort dann teurerer zu verkaufen, lehnte ich zuerst vehement ab: „Wenn sie uns erwischen, kriegen wir echte Probleme“, appellierte ich an ihre Vernunft. „Wir verstecken die Dosen so gut, dass keiner sie finden kann“, behauptete Olga selbstbewusst. Ich schaute nachdenklich meine abgetragenen Stiefel an, schlürfte an der ekligen Nudel-Brühe und stimmte schließlich zu. (Fortsetzung im Teil 2)

© Albina Hovhera 2021-11-21

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