von Emi WeiĂ
An einem alten Kloster, an dem wir vorbeikamen, suchte ich mir vier Steine. Auf jeden dieser Steine schrieb ich die Namen einer meiner drei Schwestern und auf den letzten Stein schrieb ich schlicht âHeimatâ. Als ich am Abend mit meinem Mann am Meer saĂ, nahm ich die Steine in die Hand, sprach zu den Steinen und weinte, wegen allem, das einst war und allem, was geschehen ist. Zu Gudrun sagte ich, dass wir uns stets gegenseitig geholfen hatten. Immer konnte ich auf ihre UnterstĂŒtzung zĂ€hlen und sie auf meine. Nie hatte sie mich geschlagen. Ich sagte ihr, dass ich enttĂ€uscht von ihr sei und fĂŒhlte mich tief verletzt von ihrem Verhalten. Ich warf ihren Stein ins Meer, ein Abschied fĂŒr immer! BĂ€rbel war die NĂ€chste. Ich sagte ihr, dass sie schon immer eifersĂŒchtig und neidisch auf mich gewesen war und mir nichts gönnte. Stets hatte sie mehr gewollt als ich, dabei war es fĂŒr mich nie ein Wettstreit gewesen. Ich sagte ihr, dass ich auf so eine Schwester verzichten könne und warf ihren Stein ins Wasser. Dann kam Helga, die Grausame, die Ungerechte. Ich sagte, sie habe mir meine Kindheit versaut. âBehinderte, Missgeburt, buckelte Matz und verrecken sollst duâ hatte sie immer zu mir gesagt. Fast tĂ€glich hat sie mich geschlagen. Ich warf Helgas Stein in das Meer, auf dass sie fĂŒr immer von mir fernbleiben möge. Zuletzt lieĂ ich meine Heimat, in der ich aufgewachsen war und in der ich einst alt werden wollte gehen. Ich weinte bitterlich. In meinen schlimmsten AlptrĂ€umen hĂ€tte ich es nie fĂŒr möglich gehalten, dass es einmal so weit kommen wĂŒrde.
Doch zuerst zum Anfang:
Ich bin normalerweise ein ganz fröhlicher Mensch. Ich liebe es, zu lachen und andere Menschen zum Lachen zu bringen. Ich habe einen liebenden Ehemann, drei wunderbare Kinder, drei Katzen und zwei Leihhunde. Der Zukunft sehe ich mit erhobenem Haupt entgegen. Doch es war nicht immer so und es gab Zeiten, die mich beinahe seelisch unumkehrbar zerrissen hĂ€tten. Darum soll es in diesem Buch, meiner persönlichen Biografie, gehen. Vielleicht gibt es Anderen in ebenfalls schweren Lagen die Hoffnung und Kraft weiterzumachen. Ihr schafft es, genauso wie ich es geschafft habe! Doch wie fĂ€ngt man wohl eine Geschichte an, die so groĂ und beschwerlich war und dennoch in so viel Freiheit, Erleichterung und selbst gefundener Standhaftigkeit enden konnte? Ich denke, ich beginne mit dem Teil meines Lebens, als das Schicksal begonnen hat, GroĂes von mir zu verlangen. Eine Feuertaufe des Geistes.
Mein Sohn Peter kam als FrĂŒhgeburt, mit nur einer Niere, auf die Welt. Leider kam sofort eine Schockdiagnose: Er hatte ein MiddleâAorticâSyndrome (Aortenstenose). Das heiĂt, die Hauptschlagader war in der Bauchmitte verschlossen. Er hatte eine Fehlbildung. Peter jedoch ist ein Wunder! Ăber seinen Darm bildete mein Sohn seine Blutversorgung, sogenannte Kollateralen, zu seiner unteren KörperhĂ€lfte. Der Blutdruck war oben lebensbedrohlich hoch und unten kaum spĂŒrbar. Es war eine harte Zeit, denn um mich herum bekamen die Frauen ihre gesunden Babys und durften schon nach einigen Tagen mit ihrem Nachwuchs nach Hause. Peter durfte erst nach vier Monaten aus dem Krankenhaus.
© Emi Weià 2024-03-07