Danube Island

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Ich habe lange genug unterrichtet, um sagen zu können, dass viele Jugendliche glauben, durch einen Pflichtschulabschluss seien sie hinreichend „beschult“ und mit genügend Allgemeinwissen ausgestattet worden, sodass sie mit durchschnittlich Gebildeten spielend mithalten können.

Eine halbwegs zutreffende Selbsteinschätzung, ein Anerkennen der eigenen Stärken und Schwächen, das macht, so finde ich, einen Menschen sympathisch. Ein realistisches Selbstbild ist ein veritabler Schutz vor dem Dunning-Kruger-Effekt.

Ich weiß nicht mehr, in welcher Quiz-Show ich vom Dunning-Kruger-Effekt gehört habe, aber jedenfalls ging mir ein Licht auf, denn auf einmal gab es einen Namen und den Nachweis einer wissenschaftlichen Studie für ein Phänomen, das ich schon lange beobachte.

Der Dunning-Kruger-Effekt besagt, dass Menschen mit eher geringen Fähigkeiten oder einer schlechten Eignung für eine bestimmte Aufgabe ihre Kompetenzen deutlich überschätzen und sich leistungsstärker wähnen, als sie sind. Und sie täuschen sich häufiger als andere in der Einschätzung ihrer Mitmenschen.

Gestern Abend treffe ich eine Freundin. In der Kühle eines schattigen Gastgartens zeigt sie mir einen Videoclip am Handy. Der Ö3-Mikromann stellt einigen jungen Menschen auf dem Donauinselfest folgende Frage: Mitten in welchem Fluss liegt die Donauinsel? Verlegenes Kichern. Wir sind hier zum Sonnenbaden, sagen die jungen Damen, die ich mir braungebrannt und in knappen Bikinis vorstelle. Nach mehrmaligem Wiederholen der Frage kamen zögerlich die Antworten. Der Rhein? Oder die Enns? Mikromann: In welchem Bundesland fließt die Enns? Jüngling: Oberösterreich? Mikromann: Sind wir hier in Oberösterreich? Jüngling, im Brustton der Überzeugung: Nein, dann ist’s der Bodensee. Kleine Nachdenkpause: Aber das ist ja ein See. Mikromann: Ich will Ihnen helfen. Also, wie heißt denn der größte Fluss in Österreich? – A so, dann muss es die Mur sein. – Sind Sie aus der Steiermark? – Na, i bin aus Wien.

Während meines Studiums waren die Aushubarbeiten voll im Gange. Seit 1984 heißt das Entlastungsgerinne offiziell „Neue Donau“. Die alte Bezeichnung gab man auf, weil befürchtet wurde, dass dieser schwerfällige Name für das ehrgeizige Bauvorhaben eine schlechte Werbung sei. Ich sage manchmal noch „Entlastungsgerinne“.

Ich gebe zu, dass ich bei Wörtern eher rückständig bin und oft an alten Bezeichnungen festhalte. Rund um 2000 bekam ich von unserer Direktorin im Beisein des ganzen Kollegiums einen Rüffel. Ich habe keineswegs gegen den Kodex guten Benehmens verstoßen. Mir entschlüpfte lediglich das Wort „Energieferien“. 1974 waren sie als Reaktion auf die erste Ölpreiskrise eingeführt worden, damit in den Schulen Heizkosten gespart würde. Das Wort wurde ersetzt, doch das Thema ist wieder aktuell.

Im kommenden Winter werden wir alle die Raumtemperatur ein paar Grad zurück- und mitmenschliche Wärme ein paar Grad hinaufdrehen müssen.

© Sonja M. Winkler 2022-06-29

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