von Isi Dora
Papa war mir völlig ausgeliefert. Als Weihnachtsgeschenk kam ich mit einem CD-Player und ein paar CDs an, von denen wir dachten, sie könnten ihm gefallen. Darunter “echte” Volksmusik von den Edlseern. Er saß in seinem Komfort-Sessel beim Frühstück und war noch sehr müde, vielleicht aufgrund des aktuellen Chemozyklus, obwohl es bereits Mittag war. Von meiner Anwesenheit nahm er lange kaum Notiz, auch die Augen konnte er nur mit Mühe offen halten. Das hinderte mich nicht daran, nach einer Weile vorsichtig den Radio in Betrieb zu nehmen und die erste CD einzulegen. Die Luisl-Polka startete und sein mobiler Fuß begann trotz der geringen Lautstärke sofort im Takt mitzugehen. Eine Polka ist bekanntlich ein sehr rasches Stück, umso überraschender seine plötzliche Lebendigkeit im rechten Bein.
Auch mich rührten und rüttelten die von früher bekannten Rhythmen an und da ich wusste, dass Papa immer gerne zur Polka tanzte, auch mal mit mir am Pfarrball oder beim Maturaball, kam mir spontan die Idee, mit ihm zu tanzen. Kurzerhand löste ich die Bremsen von den Rollen und schnappte mir seinen Stuhl, um im Takt hin- und her zu hüpfen. Schön war das, so lebendig und fröhlich mit ihm im Takt zu schaukeln und nur meine mangelnde Ausdauer brachte uns nach einer Polka wieder zur Ruhe. Auf meine Nachfrage bekam ich keine Antwort und so ließ ich es bei dem einem Tänzchen.
Am Tag darauf begann er zu wieder zu sprechen. Eine Pflegerin erzählte es meiner Schwester. Bis ich es selber erlebte, sollten noch zwei Wochen vergehen, da mein nächster Besuch ungünstig nach einem Sturz war. Schließlich kam ich doch in den Genuss, ihn wieder sprechen und sogar einmal kurz singen zu hören. Wieder seinen Kopf bewegen zu sehen, etwas Mimik und sogar Humor in seinem Sinne tauchte wieder an der Oberfläche auf. Wahrscheinlich, wie ich später aus Befunden entnehmen konnte, linderte eine erhöhte Kortisongabe etwas von dem Hirnödem und unser “Weihnachtswunder” war perfekt.
Soviel Aufatmen auf der einen Seite, die Sorge um die an Corona erkrankte Mama auf der anderen Seite.
Schließlich sind beide im Pflegeheim vereint und wollen es auch einvernehmlich bleiben. Juchuu – Happy End. Ich sollte mich freuen – und doch, so ganz gut fühlt es sich nicht in mir an. Meine exklusive Papa-Zeit ist damit vorbei. Das empfand ich nicht so schön beim ersten Besuch zu dritt. Mama ist aufgrund mangelnder Gesprächspartner sehr redselig und sowieso immer Aufmerksamkeit fordernd bei Besuchen, sodass nun der meist schweigende Papa in seiner Welt versinkt, während ich von ihr in Gespräche verwickelt werde.
Das Leben um ihn herum geht weiter. Er wirkt damit schon mehr im Einklang. Schön fände ich, wenn ich wieder mal “Darf ich bitten” zu ihm sagen kann, doch sitzen schmerzt seine Thrombose belastete Seite sehr, er bevorzugt es, im Bett zu liegen.
Dennoch: Ein Tänzchen in Ehren kann niemand verwehren. Ich werde bei nächster Gelegenheit gleich zweimal tanzen – einmal mit ihm und einmal mit Mama.
© Isi Dora 2021-01-22