von Silvia Peiker
Das verwaschene Rot der Backsteine war bereits an vielen Stellen abgeblättert und tiefe Sprünge zogen sich über die von Wind und Regen gepeitschte Fassade. Am löchrigen Sockel konnte man die nagenden Spuren, die der Zahn der Zeit hinterlassen hatte, noch besser erkennen. Auch das Dach hatte schwere Schäden davongetragen und herabgefallene, verwitterte Dachschindeln lagen überall verstreut herum. Vorsichtig griff ich nach der vergilbten Türklinke, die sich jedoch ohne nennenswerten Widerstand mit einem unangenehmen Quietschen niederdrücken ließ.
Der herabgefallene Putz unter unseren Sohlen knirschte leise, als wir den baufälligen, geräumigen Korridor betraten. Der brüchigen Holztreppe, die ins Obergeschoß führte, fehlten bereits einige Stufenbretter und das Geländer wies an mehreren Stellen breite Lücken auf, durch die man eine gemauerte Stiege erkennen konnte. Im schwachen Lichtkegel unserer Taschenlampen sah der Abgang in das Kellergeschoß wenig einladend aus. Auf den Steinstufen lagen die zerborstenen Überreste der herabgefallenen Holzbretter und vom Treppengerüst baumelten dichte Spinnweben, die im leichten Luftzug, der durch die offene Hintertür ins Innere strömte, sacht schaukelten.
Meine Nackenhärchen stellten sich auf, ich konnte das Grauen, das zwischen diesen Wänden gefangen war, noch immer spüren. Auch Gusti starrte mit großen Augen die Treppenflucht hinunter. Ich denke, uns beiden fehlte der Mut, hinabzusteigen. Hier, am Treppenabsatz, sollte es geschehen sein. Hier hatte die Schrotkugel den Schädel der heimkehrenden Ehefrau zerfetzt.
Ein lautes Peng, das die unheimliche Aura durchbrach, ließ uns zusammenzucken. Starr vor Schreck packten wir einander an den Händen und sahen in die Richtung, aus der der Knall gekommen war. Doch der fahle Schein der Straßenlampen durch die blinden Fensterscheiben zeigte uns lediglich das Blumenmuster der feuchten, ausgebleichten Tapeten, die sich von den Wänden lösten. Als hätte auch das Haus seinen Atem angehalten, senkte sich wie zuvor wohltuende Stille über die staubigen Zimmer. Ein vorbeifahrendes Auto hatte vermutlich eine Fehlzündung gehabt.
Die kaputte Treppe, die zu den Räumen unter dem lecken Dach führte, war uns zu wackelig, und den Keller zu erforschen kam uns nicht in den Sinn. So blieb nur das Erdgeschoß zu inspizieren übrig. Doch da gab es, außer leer geräumten Zimmern, nichts zu sehen. Das Mobiliar war vermutlich mit dem letzten Besitzer, einem passionierten Jäger, der gerne über den Durst trank, zur Eifersucht neigte und schon seit geraumer Zeit im Gefängnis schmorte, längst verschwunden.
Trippelnde Schritte aus der Nähe des offenen Kamins ließen uns zusammenfahren. Eine graue Ratte starrte uns mit funkelnden Augen an. Kreischend ergriffen wir die Flucht!
Dieses Haus ist halb verfallen
und es knarrt und stöhnt und weint.
Dieses Haus ist noch viel schlimmer als es scheint.
Foto: F. Sedlacek “Gespenster auf dem Baum”
© Silvia Peiker 2022-01-02