Das Alter – eine Frage der Perspektive?

Irene Werren

von Irene Werren

Story

Ich erinnere mich, wie ich reagierte, als ich Mitte 30 mein erstes graues Haar entdeckte, das in der Sonne glänzte. Das war ein richtiger Schock!!Heute frage ich mich, ob das Gefühl des Älter werdens ein Gefühl, eine Ansichtssache sei oderbloss eine Momentaufnahme, die schnell verblasst.

Dazu habe ich drei Situationen beobachtet:Neulich im Altersheim: drei vitale und unternehmungslustige Frauen, alle drei zwischen 88 und 92 Jahre alt, stehen vor dem Anschlagbrett und lesen staunend, dass A., die Frau in ihrer Mitte, morgen den 90. Geburtstag feiern wird.Staunend dreht sich D.zu ihr um und sagt: „Mensch, bist du aber eine alte Schachtel geworden“.

Neulich erzählte mir eine Arbeitskollegin,35 Jahre, folgendes Erlebnis:Eines Morgens sei sie vor dem Spiegel gestanden und hätte einen richtigen Schreck bekommen wegen ihrer Augenfalten, die scheinbar plötzlich über Nacht entstanden sein müssen. Sie nimmt sich vor, eine besonders teure, weil besser wirksamere Tagescreme zu kaufen.Auf dem Weg zum Geschäft geht sie zu einem Kiosk, wo sie sich Zigaretten kaufen möchte.Die Zigarettenverkäuferin sieht sie skeptisch an und fragt: „bist du denn schon 18“?Dass ich selber älter geworden bin, merke ich vor allem daran, dass im Bus Kinder auf Geheiss der Mutter aufstehen, „damit die ältere Frau sitzen kann“. Wie soll ich darauf reagieren? Widersprechen und sagen, dass ich doch noch nicht so alt sei- und damit erreiche, dass die Kinder nie mehr für jemand anderen aufstehen werden? Oder soll ich die Bemerkung ignorieren und absitzen? In den Augen von einer jungen Mutter von 25 Jahren bin ich tatsächlich eine ältere Frau. Da hilft nichts. Also schlucke ich wohl besser eine bissige Bemerkung hinunter.

Und was das Älter werden betrifft: Ich kann mich nur mit mir selbst vergleichen. Es gibt Tage, da fühle ich mich richtig alt – im Vergleich zu früher. Und dann gibt es wiederum Tage, und das sind die besseren, wenn ich über mein Alter und Älter werden lachen und mit gleichaltrigen Freunden über Unpässlichkeiten reden kann.Fazit: unabhängig davon, wie jeder einzelne Mensch sein Älter werden wahr nimmt und damit umgeht-eines bleibt sich für alle gleich – und ich finde es das Wichtigste und Schönste zugleich:Die Gefühle altern nicht. Sie bekommen keine Falten, behalten ihre Spannkraft und verlieren nichts von ihrer Intensität, im Gegenteil: sie verstärken sich eher noch. Und das lässt mich mit mir selber gelassener werden.

© Irene Werren 2022-07-30