Das Auto

Senta Kral

von Senta Kral

Story
Wien 1934 – 1937

Ein wunderschöner Sommermorgen in den Ferien 1993 war wie geschaffen für einen Ausflug in Wiens Umgebung. Mutter war in den letzten Tagen noch verwirrter und unruhiger als sonst, daher wollte ich sie mit einer Fahrt zum Leopoldsberg etwas ablenken. Das Restaurant in den noch erhaltenen Teilen der Burg und dem schattigen Garten war seit Jahren eines von Mutters Lieblingszielen. Ich wählte den längeren Weg über die Höhenstrasse von Klosterneuburg aus. Das kleine steile Stück vom Parkplatz zur Aussichtsterrasse schaffte Mutter mit ihren 85 Jahren erstaunlich gut. Die Aussicht auf Wien war an diesem Tag besonders klar und sie erkannte trotz ihrer Vergesslichkeit eine Reihe von bekannten Wiener Sehenswürdigkeiten. Nach einem Besuch in der Kirche fanden wir auf der Terrasse sogar einen Tisch mit wunderbarer Aussicht auf die Donau und den Bisamberg. Nach dem obligaten Wiener Schnitzel begann sie sofort von früher zu erzählen: „Rudolf und ich haben früher auch viele Ausflüge gemacht, allerdings zu Fuß. Einmal sind wir sogar mit einem ausgeborgten Zelt im Handwagerl zu Fuß von Wien nach Mährisch Neustadt gewandert.“ Das war für mich das Stichwort: Ich kramte aus meiner Tasche das handgeschriebene Buch hervor und legte es aufgeschlagen auf den Tisch. Mutter bemerkte sofort die Überschrift Unser Auto. Diese Geschichte begann mit der Fußwanderung von Wien nach Mährisch Neustadt im Sommer 1934. 10 Tage hatten die beiden für die 300 km gebraucht, hatten wegen des Wassers immer an Ufern von Bächen gezeltet und auf dem kleinen mitgeführten Petroleumöfchen gekocht, was sie von den Bauern günstig gekauft hatten.

Vaters Resümee im Buch: „Das einzige, was mich gestört hat, war das Fußgängertempo. In den folgenden Ferientagen sann ich auf Abhilfe, wie man mit möglichst einfachen Mitteln ein Fahrzeug bauen könnte, das Personen und Gepäck befördern könnte. Eine Art mehrspuriges Fahrrad schien die Lösung. Vielleicht ein Dreirad? Im Herbst ging ich daran, ein solches Fahrzeug in Form eines Autos zu bauen. Es gelang ganz gut, aber es benötigte statt des Fußantriebes einen Motor. Daher Umbau: Ein gebrauchter Motor (Villiers Zweitakt, 350 cm³, Nasenkolben) und ein gebrauchtes Getriebe (Moos Dreigang) wurden gekauft, mit Blech verkleidet und lackiert. Im Prater lernte ich fahren, ein Lehrjunge mit Führerschein saß vorsichtshalber daneben. Fuhr dann mit dem Fahrzeug zur Kommissionierung. Hätte ich nicht über alles so gut Bescheid gewußt, hätte ich wahrscheinlich keine Sonderzulassung bekommen. Auch die Fahrprüfung machte ich ohne Schwierigkeiten und wir fuhren im Herbst mit unserem „Wagerl“, wie wir es liebevoll nannten nach Innsbruck, wo ich eine Anstellung am Stadttheater angenommen hatte. Es erwies sich als durchaus bergtauglich. Im Jahr darauf machten wir von Innsbruck aus sehr schöne Fahrten nach Salzburg, Bad Gastein, sogar auf den Großglockner. Ich fuhr auch zu mehreren Probespielen nach Wien und wurde beim neu gegründeten Musica-Viva-Orchester für eine Konzertreise nach Italien engagiert, bei der auch meine Frau mitfahren konnte. Wir besuchten Triest, Mailand, Turin, Venedig, Florenz, Rom und Neapel und ernteten überall großen Beifall. Für uns persönlich war es wie eine verspätete Hochzeitsreise. Auch das lange Warten auf eine fixe Anstellung bei den Wiener Staatstheatern, Oper und Burgtheater hatte sich gelohnt. Endlich hatte ich ein gesichertes Einkommen!“

© Senta Kral 2024-09-30

Genres
Biografien
Stimmung
Hoffnungsvoll, Reflective