von Carina Senger
Die Deutschen sind sehr stolz auf ihr Brot. Die Franzosen auch. Aber beim Brot gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich. Die Menschen auf der deutschen Seite des Rheins schwärmen mit glänzenden Augen von Vollkorn-, Kartoffel oder Mehrkornbrot. Auf der anderen Seite des Flusses hingegen gilt die Liebe nur einer Sorte: dem Baguette. Ich war bei dem Thema unparteiisch: Ich mochte sowohl das deutsche Brot als auch das französische Baguette. Allerdings zog es mich damals eher zu Weißbrot, als zu Vollkornbrot, weshalb ich die deutsche Vielfalt nicht richtig zu würdigen wusste.
In Deutschland hatte ich Baguette meist in Form von Kräuter- oder Knoblauchbaguette zum Salat oder beim Grillen gegessen. Aber das genügte, um zu wissen, dass es mir generell schmeckte. Insofern überraschte es mich, dass mir viele meiner Freunde vor meiner Abfahrt nach Paris die Frage stellten: „Wirst du das deutsche Brot nicht vermissen?“ Die ehrliche Antwort wäre Nein gewesen. Zum Frühstück aß ich selten Brot und bei meinen anderen Mahlzeiten kam ich meist ebenfalls ohne aus. Warum sollte ich also Pumpernickel vermissen, wenn ich herrlich knuspriges Baguette bekam? Da ich aber wusste, wie stolz viele Deutsche auf ihr Brot sind, bestand meine Antwort meist nur aus einem Schulterzucken.
Wenige Tage nachdem ich bei meiner Gastfamilie eingezogen war, bat mich meine Gastmutter zwei Baguettes für das Abendessen mitzubringen, wenn ich die Kinder von der Schule abholte. Einer Aufforderung, der ich nur allzu gerne Folge leistete, denn der Besuch in einer französischen Bäckerei war ein Fest für die Sinne. Schon bevor ich die Bäckerei betrat, zog mir der Duft nach frischgebackenem Baguette in die Nase. In den Auslagen gab es Pain au chocolat, Croissants und Eclairs. In vielen Bäckereien hing auch ein Schild an der Wand. Es informierte darüber, dass die Bäckerei bei dem „Grand prix de la meilleure baguette de Paris“ den sechsten, achten oder neunten Platz errungen hatten. Ich fand das Baguette in den Bäckereien bei mir um die Ecke köstlich. Gleichzeitig schmunzelte ich darüber, dass sich die Bäckereien damit brüsteten, unter den ersten zehn bei einem Wettbewerb gelandet zu sein.
Neugierig geworden recherchierte ich, was es mit dieser Auszeichnung auf sich hatte. Wie der Name schon sagte, wurde beim „Grand prix de la meilleure baguette de Paris“ das beste Baguette der Hauptstadt gekürt. Gleichzeitig wurde entschieden, wer für ein Jahr den Präsidentenpalast mit Baguette versorgen durfte. Der Sieger erhielt ein Preisgeld in Höhe von 4.000 € und durfte täglich 15 Baguettes in den Elyséepalast liefern. Außerdem durfte der Gewinner sich ein Jahr lang mit dem Titel „Offizieller Lieferant des Elyséepalasts“ schmücken. Aber auch Bäckereien, die es unter die ersten 10 schafften, erhielten eine Urkunde. Diese hängten sie als Qualitätsnachweis an eine Stelle ihrer Wand, wo sie den Kunden ins Auge fiel.
© Carina Senger 2021-05-22