Das Biest mit den Scherentüren

Daniel Berger

von Daniel Berger

Story

Der Abteilungsleiter fährt neuerdings einen Lamborghini Aventador, ein mattschwarzes Biest mit Scherentüren. Dieses fürchterliche Fahrzeug beeindruckte immerhin die Azubis, die beiden 17-Jährigen, die noch nicht wissen, was im Leben wirklich wichtig ist.

Mein Therapeut nickt zaghaft, lässt sich ansonsten aber nichts anmerken. Ich fahre fort: Dirk Koppmann, so heißt mein Chef, hatte lange sparen müssen, ehe er sich «den Flitzer» leisten konnte. Am Wochenende war es endlich so weit gewesen: Er war extra nach Duisburg gefahren, um «den Lambo» persönlich abzuholen. Er habe den Verkäufer noch um dreitausend runtergehandelt, prahlte Koppmann in der Mittagspause. Wir, die auch am Tisch saßen, schwiegen. Koppmann ist kinder- und kinnlos. Das Auto bedeutet ihm offenbar viel.

Mein Therapeut seufzt, vor seiner Praxis stehen sein blauer Polo und der graue Skoda von Frau Doktor Lortzing. Ich fahre fort: Sozusagen Dirk zuliebe haben wir uns allesamt auf dem Parkplatz versammelt und sein neues Fahrzeug umzingelt. Wir begutachteten, bestaunten, betrachteten den Lamborghini Aventador wie eine Skulptur im MoMA – nur dass es ein Auto war, das wir anstarrten, begafften, studierten, und kein kompliziertes Kunstwerk. Die beiden anwesenden Raucherinnen – Frau Taube und Frau Ipsen – waren schlicht froh, draußen zu sein; die anderen womöglich auch. Einige wenige zeigten schließlich doch echtes Interesse am Lamborghini, wir durften ihn sogar anfassen, streicheln, berühren, aber ich habe darauf verzichtet. Frank aus dem Versand kommentierte mit einem knappen: «Wow!», und unser Hausmeister erkundigte sich nach Verbrauch, Hubraum und den PS, wodurch sich Dirk Koppmann zu einem langen Monolog hinreißen ließ. Taube und Ipsen gönnten sich eine zweite Zigarette. Die Azubis machten Selfies vor dem Lambo.

Mein Therapeut sagt, dass manche Männer das brauchen, weil sie sonst nichts haben. Aha, sage ich und denke darüber nach, entscheide aber rasch, den Gedanken nicht fortzuführen. Stattdessen erzähle ich, wie Dirk erzählte, dass er «mit 300 Sachen» über die A2 «gebrettert» sei, wie ein Düsenjäger, eine Rakete, eine Pistolenkugel. Nur geil sei das gewesen. Mein Therapeut gähnt plötzlich heftig und entschuldigt sich sogleich – er habe schlecht geschlafen etc., etc. Wo waren wir? Bei Dirk und seinem Düsenjäger, bei Herrn Koppmann und seinem Lambo, bei Dirk und den 700 PS pure Verzweiflung.

«Dieser Mann und sein Gehabe – es ist nicht leicht, da zu arbeiten», gestehe ich abschließend und warte gespannt, was mein Therapeut dazu sagen wird. Tatsächlich sieht er so aus, als würde er über Dirk, seinen Lambo und mich nachdenken, doch dann erhebt er sich leise stöhnend von seinem Sessel und murmelt: «Nun ja.» Die Zeit sei abgelaufen, wir würden nächste Woche dort anknüpfen, einen schönen Tag noch. Ich verpasse den Bus und muss zwanzig Minuten im Nieselregen warten. In der Ferne röhrt es, das Biest ist erwacht.

© Daniel Berger 2022-01-04

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