von Doris Klepatsch
Es waren Zeiten mit dem Lebensgrundsatz “weniger ist mehr”.
Stoffwindeln: handgewaschen. Körner: handgemahlen. Chaptis: handgebacken.
Kleidungsstücke: recycelt.
Ich damals erst Mitte 20, in einer Welt, am anderen Ende des Globus, in Patagonien, ohnehin ganz anders als „daheim“, in der oberösterreichischen Mittelklasse am Land. Dazu passte mein Babysohn mit Naturrasta gut, denn klar, wer schnitt schon Haare und frisierte? Weniger war ja mehr.
2-sprachig, mein Bursche: argentinisches Spanisch und mühlviertler Dialekt. Wie schön wäre doch eine freie Schule gewesen, oder ein Montessori Kindergarten, Minimum Waldorf… aber in einer echten „weniger ist mehr“-Lebenshaltung bleibt keinen Groschen für Schulgeld, denn man lebt vom Kunsthandwerk und dem Wunder der Natur!
Bis eines Tages der (Normal-)Kindergartensohn inständig darum bittet, ihm doch die Rasta abzuschneiden: Als Junge mit langen Haaren wird er verspottet.
Dazu der „weniger ist mehr“-Zeitaufwand! Erst 1,5 km zu Fuss zur Hauptstrasse, dort Autostoppen zur Schule (Busticket sparen dank Menschen mit offenem Herzen). Auf gleichem Weg zurück, später wieder hin, dann in Kleinkindschrittgeschwindigkeit wieder heim. Die Zeit fürs erste Auto wurde parallel zum ersten Haarschnitt reif.
Ein 3-Türer Jahrgang ´98 reicht, oder? Pickerl brauchen wir auch keins, finde ich. Monatelang ringe ich mit mir und meditiere das Thema. Darf ich mir das denn „leisten“, so ein Luxusgut…?
Bis klein Sohn eines Tages beim Frühstück wie aus dem Nichts meint: „Quiero un auto azul.“ (Ich will ein blaues Auto.)
Ich erkenne das Zeichen sofort und klappere noch am selben Tag die Autohändler der Stadt ab. Plötzlich steht ein türkisfarbener Renault Twingo vor mir. Ich zahle ihn mit Bargeld und hole mit bebendem Herzen und aufsteigenden Freudentränen zum ersten Mal im Eigenwagen das Kind am Schultor ab! Ein Meilenstein in unserem Leben!
Doch was sich dann abspielt, ist ein Fingerlecken für jeden Sprachwissenschaftler seit Whorf:
Sohn sieht mich, lächelt, sieht Auto, schluchzt: „Yo quería un auto azul!” (Ich wollte ein blaues Auto.)
Ich, konsterniert: „Aber das ist doch blau!“
Er, spanischsprachig sozialisiert: „Esto no es azul, es celeste.“ (Das ist nicht blau, das ist hellblau.)
„Azul“ – blau und „celeste“ – hellblau sind im Spanischen 2 komplett unterschiedliche Wörter und somit sind für den Sprechenden diese beiden Farben voneinander unabhängige Realitäten. So wie der Deutschsprechende sagen wir „braun“ von „lila“ unterscheidet, während er aber helles Blau, wie der Name schon sagt, als eine Kategorie von blau wahrnimmt.
Nicht so mein Sohn. Und als ich ihm dann auch noch antworte, das eine sei doch dasselbe wie das andere, kassiere ich einen Blick der sagt: Meine Mama spinnt.
Tja, wenn also Worte unsere Welt derart definierten, so war es an der Zeit, mein Konzept von „weniger ist mehr“ hin zu „lass es dir gut gehen“ um zu orientieren. Der Twingo fährt übrigens immer noch!
© Doris Klepatsch 2022-04-06