von KayNorden
Die Ketten an ihren wunden Handgelenken rasselten, als er die Zelle betrat. Mit einem Fingerschnippen seinerseits entzündete der Wachmann die Fackel an der Wand, bevor dieser sich eilig zurückzog. Sie zuckte zusammen, als die Kerkertür wieder ins raue Gemäuer fiel. Er schnaubte verächtlich und trat mit verschränkten Armen vor sie, hielt jedoch genug Abstand. Schließlich wollte er sich nicht schmutzig machen. Schweigen herrschte für wenige schrecklich stille Momente. Bis auf das Geschrei aus anderen fernen Zellen war nichts zu hören. Dann lehnte sie sich zurück, was erneut ein Kettenrasseln verursachte und seufzte tief.
„Mein Prinz. Ihr seid zurück. Zehn Tagen sind seit unserem letzten Treffen vergangen. Die Wunden sind fast-“
„Schweig!“ zerschnitt seine grollende Stimme die Luft wie Splitter. „Ich habe fast keine Geduld mehr wegen deiner lächerlichen Spiele, ich bin kurz davor, dir nicht nur die Hände aufzuschlitzen, wenn du mir nicht endlich sagst, wo SIE ist!“
Schlagartig wurde es noch kälter als es ohnehin schon war. Spitze Eiszapfen bildeten sich an den Wänden, ragten in die Zelle hinein. Zittrig atmend lehnte sie sich zurück, um ihm in die Augen sehen zu können. Giftgrün bohrten sie sich in ihre. Sie war es gewohnt, dass man so mit ihr umging, seit sie hier verweilte.
„Seht Ihr das?“ Ihr Kopf zuckte schwach Richtung Wand. „Seht Ihr diese Striche? Ich zähle. Einmal am Tag bringt mir jemand Essen und Trinken. 84 Mal wurde es mir bis jetzt gebracht. Fast drei Monate hält man mich schon gefangen.“ Ihre Stimme wurde schriller. „Fast drei Monate ist es her, dass Ihr mein Volk gequält und ermordet habt! Nur, weil wir SIE kannten! Weil sie bei uns war, als Eure Leidenschaft und Kälte sie innerlich erdrückt haben! Doch Ihr wolltet sie zurück, wolltet mehr. Ihr glaubt, dass Ihr mich arme Hellseherin brechen könntet… doch ich werde schweigen! Für immer!“ Kaum hatte sie gesprochen, brannte sich eiskalter Schmerz in ihre Haut. Alte Wunden rissen auf, sie krümmte sich zusammen, schrie und lachte ihren Wahnsinn heraus, dem sie längst verfallen war. „Ihr seid böse“, keuchte sie, als sie sich wieder beruhigte. „So böse, böse… macht mit mir was Ihr wollt, tötet mich, foltert mich, zerschneidet mir die Haut, aber Ihr werdet nie erfahren, wohin ich sie geschickt habe.“ Lachend warf sie den Kopf in den Nacken, lächelte in sein kaltes Antlitz. „Sie hat Euch wirklich geliebt. Aber Euer böses Herz konnte sie nicht heilen, ohne selbst an der Vergiftung zugrunde zu gehen.“
Einige Momente an Stille vergingen, dann trat er zurück. „Dann lässt du mir keine andere Wahl. Wache!“ Sofort flog die Kerkertür wieder auf. „Meine Geduld ist am Ende. Setzt sie vor den Splitterspiegel.“ Bei diesen Worten richtete sie sich auf.
„Nein…“
„Du hast es so gewollt.“
„Nein. Nein!“ Ihre verzweifelten Schreie begleiteten ihn bis hoch zum Schloss. Doch es kümmerte ihn nicht. Bebend vor Wut ballte er die Hände zu Fäusten. Er musste sie wiederfinden. Egal, was es erforderte.
© KayNorden 2022-06-24