Das Buch

Maximilian Besler

von Maximilian Besler

Story

Im Haus meiner verstorbenen Großmutter fand ich ein Buch. Da meine Eltern schon lange tot waren, lag es an mir, ihre Wohnung auszuräumen. Sie war eine vorausschauende Frau, hatte vieles nötige erledigt, um meinen Job möglichst zu vereinfachen, einige Dinge standen dennoch an.

Die Regale waren halb leer, sie hatte mir all die wichtigen Bücher gegeben, die ich lesen sollte. Alles, das jetzt noch auf den Brettern stand, hätte sie „Schund“ genannt. Ich fand aber dieses leere Buch, das alt aussah, aber noch gut erhalten war. Sie wollte immer, dass ich meine Gedanken niederschreibe, dies war der perfekte Zeitpunkt, um damit anzufangen, das Buch war ideal dafür.

Die jüngste Vergangenheit verlief nicht ideal. Ich musste mein Studium abbrechen, kurz davor hatte mich mein Freund verlassen. Außerdem zeichnete sich ab, dass meine Großmutter nicht mehr lange hatte. Während ich mit dem Nachlass beschäftigt war, schob ich das alles beiseite, jetzt wurde es mir wieder bewusst.

Der erste Eintrag, den ich im Dunkeln auf das Papier kritzelte, war deshalb der kurze, aber meine Gesinnung perfekt einfangende Satz: „Ich will sterben“

Als ich aufwachte, griff ich das Buch, um den ersten Gedanken des Tages aufzuschreiben. Ich stellte fest, unter meinem Satz stand etwas: „Warum?“ Hatte ich im Schlaf darunter geschrieben?

Erst am Abend warf ich wieder einen Blick ins Buch und schrieb wieder hinein: „Warum nicht, es gibt keinen Sinn im Leben“ Ich musste wirklich im Schlaf schreiben, am nächsten Morgen erwartet mich wieder eine Gegenfrage: „Bist du sicher?“. Ich ging einkaufen, schrieb davor jedoch; „Ist denn nicht offensichtlich, wie fucked up diese Welt ist“

Ich war nicht Zuhause, deshalb erwartete ich diesmal keine Antwort, wurde aber eines Besseren belehrt, als ich es wieder öffnete. Ich schrieb den restlichen Tag und erhielt ununterbrochen Antworten. Ich kommunizierte tatsächlich mit dem Buch.

Wir thematisierten Ungerechtigkeit in aller Welt, das Thema Hoffnung und warum die Politik versagt, kamen am Ende aber wieder zu meiner ersten Frage zurück und ich beschloss zusammen mit dem Buch, mein Leben in sieben Tagen zu beenden. Das Buch bot mir an, mir bei allem zu helfen.

Ich schrieb ein Testament, ging ins Casino, setzte fast all mein Geld auf Rot, gewann und beschloss, es zu spenden. Mit einer kleinen Anarchistengruppe brach ich in das Gebäude einer Großbank ein und verwüstete dort jeglichen erdenklichen Raum. Ich hatte ein letztes Mal Sex und nahm mir dafür den Typen aus dem Café nahe der Uni, den ich aus Schüchternheit nie angesprochen hatte. Wir verbrachten einen tollen Abend und eine tolle Nacht miteinander.

Der finale Tag kam. Es war die beste Woche meines Lebens. Ich saß vor dem Buch „Bist du bereit, ich lasse Wasser ein“ „Nein“ „Ich kann es dir einfacher machen, schreib einfach ‘töte mich’, dann ist es vorbei“

Ich umklammerte den Stift, warf ihn aber weg, stand auf, holte meinen metallenen Mülleimer und Streichhölzer und das Buch brannte.

© Maximilian Besler 2022-08-31