von Jill Dziomba
Pflichtlektüre. Sobald ein Buch diesen Stempel aufgedrückt bekam, war sein Schicksal besiegelt. Denn mein innerer Rebell hatte da klare Regeln. Nur wenigen Werken gelang es, sich an den Sicherheitsschleusen vorbei zu schummeln und von Anfang bis Ende gelesen zu werden – Unterrichtsstoff hin oder her. ‚Als Hitler das rosa-rote Kaninchen stahl‘ gehörte nicht zu diesen wenigen Ausnahmen.
Und doch ist es die kleine Anna aus genau diesem Buch, die mich seit meiner Schulzeit nicht mehr loslässt. Ungefragt ist sie in meinen Kopf geklettert und klammert sich seither an mich, immer jung geblieben – gefangen, in den wenigen Szenen, die ich kenne.
Sie wollte eine gute Schriftstellerin werden. Doch für sie stand fest: Nur wer tiefen Schmerz erfährt, könne diesen auch in seinen Texten widerspiegeln. Es war notwendig, um das Ziel zu erreichen. Dann musste sie mit ihrer Familie vor dem nationalsozialistischen Regime flüchten, erst in die Schweiz, später nach Frankreich. Sie verloren ihr Hab und Gut, mussten von vorne anfangen, wieder und wieder. Sie lebten eine Tortur.
Alles, was sie daraus zog: Nun könne sie ihren Traum wahr werden lassen. Was sie bewies, indem sie einen Schreibwettbewerb gewann, in einer für sie neuen Sprache.
Ich selbst hatte nie einen anderen Traum. Ich wollte schreiben, wie sie auch. Doch vom ersten Moment an machten mich ihre Worte mürrisch, schließlich war mein Leben kaum mit Kummer gefüllt. Es war und ist TOLL.
Ich habe liebende Eltern, beschützende Geschwister, echte Freunde. Mit meinem Mann kaufte ich ein Haus, bekam zwei Kinder, bin glücklich. Probleme kommen, Probleme gehen, doch reißen einen nicht die Füße vom Boden.
Währenddessen suchten geschriebene Worte immer ihren Weg durch meinen Kopf, in meine Finger und auf Papier. Überzeugte mich ihre Qualität nicht, dachte ich an das junge Mädchen. Ärgerte ich mich über mein Tempo, besuchte sie mich. Bekam ich Zweifel an meinen Fähigkeiten, war sie einfach da. Anna wurde zu meinem ganz speziellen Mantra. Es handelte sich dabei allerdings nicht um ihre sehr subjektive Darstellung eines guten Schriftstellers, denn meine Definition geht da andere Schritte. Es ist diese unumstößliche Lebenseinstellung: Träum weiter!
© Jill Dziomba 2021-11-25