Das Cello

Stefan Reitbauer

von Stefan Reitbauer

Story

Gewiss, sie hat eine schöne Stimme. Pflaumenfarben, rund und obertonreich. Tatsächlich habe ich mich zuallererst in ihren Alt verliebt. Reife, süße Früchte zieren in meinen abstrusen Gedanken ihre schwingenden Stimmbänder. Aber jetzt gerade sitzt sie wieder an ihrem geliebten Cello. Die wilden ersten Takte der Courante aus der zweiten Cello-Suite von Bach dringen bis unter die rauschende Dusche zu mir ins Badezimmer.

Sie hat sich nicht die Mühe gemacht etwas überzuziehen. Splitternackt sitzt sie auf ihrem Hocker, das Instrument behutsam zwischen den Schenkeln balancierend. Der Rücken einer Königin, aufrecht und stark. Ihr Hintern wiegt im Takt wie eine edle Gondel in den Wasserstraßen Venedigs. Ich spüre ihre Körperlichkeit und Präsenz. Und doch ist sie ganz weit weg. Abgetaucht in einen wilden Tanz über die vibrierenden Saiten. Zur Sicherheit bleibe auch ich besser unbekleidet und nähere mich langsam, um sie von der Seite betrachten zu können.

Die beiden geschwungenen Körper ergänzen sich, gehen sicht- und hörbar eine amouröse Symbiose ein. Jetzt, in den Sommermonaten, nähern sich die Farbtöne ihrer Haut denen des gebeizten Holzes an. Übergangslos bilden sie ein einziges sinnliches Instrument.

Wie ein Liebhaber neigt sich das Cello zwischen ihre Beine. Liebhaber und zugleich Feigenblatt, hölzerner Wächter. Ihre Brüste heben und senken sich unter ihrem rascher werdenden Atem und umrahmen den Hals, an dessen Vorderseite ihre Finger zielsicher am Griffbrett auf und ab gleiten. Von ihr unbemerkt setze ich mich ans Klavier und befühle die kühlen Tasten. Meine heimliche Geliebte. Mit einer Frau zu schlafen oder in den vereinnahmenden Resonanzraum eines Flügels einzudringen – dürfte ich nur eines wählen, ich würde schwere Qualen leiden und wüsste nicht …

Aus Angst, sie könnte meine möglicherweise missverständlichen Gedanken lesen, beginne ich mit zurückhaltenden Akkorden ihre Melodien zu begleiten. Schlicht und anfangs schüchtern schwinge ich mich langsam zu ihrem nackten Komplizen auf barocker Mission auf.

Ein letzter Bogenstrich – da springt sie auf, legt den Bogen ab und setzt sich auf meinen Schoß. Ich kämpfe mit unerklärlichen Blutdruckschwankungen. Haut an Haut. Mein Herz schlägt leicht daneben. „Kaffee?“, klingt es in tiefem Violett von ihren Lippen. Ich erwidere, dass sie doch wohl wisse, dass ich nie Kaffee trinke. „Wie schade, dann müssen wir wohl noch ein weiteres Duett zusammen wagen.“ Sie entwischt meiner Umarmung und entschwindet Richtung Schlafzimmer, noch einmal keck über die Schulter zurückblickend, bevor sie im Türrahmen verschwindet.

© Stefan Reitbauer 2020-09-09