von Lisa Schaberl
Sie müssen wissen, ich gehe jeden Tag zu Fuß zur Schule. Ich habe, wenn ich so darüber nachdenke, keine andere Wahl. Meine Schule ist ungefähr einen Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Ich habe keine Bus- bzw. Bim-Verbindung. Meine Eltern könnten mich führen, aber das tue ich ihnen nicht an. Außerdem wäre das schlecht für die Umwelt. Der Schulweg ist auch nicht schlimm. Meistens gefällt mir das ein bisschen gestresste Gehen. Ich kann die mathematischen Formeln in meinem Kopf umformen, damit ich in Mathematik keine Ahnung mehr habe, was ich wann und wo benutzen muss. Ich kann den Vögeln zuhören und mich fragen, ob Vögel nicht auch einen Tinitus von dem Gesänge bekommen könnten. Wenn ich das dann nicht im Internet nachlese, schaue ich den Zügen nach, die vom Bahnhof wegfahren. Die frische Luft in der Früh fällt mir auch positiv auf, obwohl man sagen müsste, dass in der Stadt keine gute Luft ist. Zumindest bekomme ich das seitdem ich klein bin eingetrichtert. So falsch kann das ja nicht sein. Die Autos mit den ziemlich gestressten Autofahrern, die alle noch vor 8 Uhr auf der Arbeit sein wollen und sie mich deshalb ungern über die Straße lassen. Die Radfahrer, die das Klingeln vergessen, wenn sie an mir rasant vorbeifahren und ich schon deswegen den vierten oder fünften Herzinfarkt bekomme. Das erlebe ich jeden Tag, fünf Mal in der Woche.
Wenn ich dann endlich, noch einigermaßen lebendig, mit wahrscheinlich einem viel zu hohen Puls, in der Schule sitze und ich noch 20 Minuten habe, bis die Schule anfängt, denke ich nach: Ich hatte schon so oft die Chance, im negativen Sinne, überfahren zu werden, doch noch nie ist es mir passiert. Die Luft in der Stadt, ist sie wirklich sauber oder ist es nur der frische Geruch der kalten Motoren, die ihre Abgase raushauen? Die Sonne, wieso hat sie um 7 Uhr einen anderen Flair als um 12 Uhr? Die Vögel, wie würde deren Wecker sich anhören, wenn sie einen hätten. Und dann kommen meist ganz psychologische Gedanken. Wie lange werde ich noch leben? Mit der Pandemie und dem Krieg und dem Klimawandel. Was wäre, wenn Österreich eine Eisscholle wäre und wir bald wegschmelzen? Gott sei Dank sind diese Gedanken ziemlich schnell weg, weil ich realisiere, dass das alles nicht passieren kann. Ich stehe auf und öffne das Fenster, ein bisschen stickig ist es geworden. Jetzt sitzen weitere Leute in meiner Klasse. Über was die wohl nachdenken? Und wieder versinke ich in den Gedanken: Was wäre, wenn wir Menschen eigentlich dumm sind und die Tiere schlau, nur wir sagen immer, dass wir schlau sind und die Tiere dumm? Ich schaue auf die Uhr noch fünf Minuten bis Stundenbeginn. Weiter versinke ich in den Gedanken, irgendwann kommen so absurde Gedanken. Und wenn ich am tiefsten und komischsten Punkt meiner Gedanken ankomme, klingelt es zum Glück, die letzten Leute laufen gestresst in die Klasse und die Stunde beginnt. Ob meine MitschülerInnen mich über die Straße gelassen hätten, wenn sie gestresst mit dem Auto in die Schule fahren würden?
© Lisa Schaberl 2022-03-27