Das digitale Bermudadreieck

Alexander Heller

von Alexander Heller

Story
München 2023

Es begann wie so oft: harmlos. Ich hatte mir einen Vormittag, um eine dieser ominösen Online-Behördensachen zu erledigen. In meinem Fall: einen Termin beim Bürgeramt buchen. Personalausweis, abgelaufen. Seit vier Monaten. Und weil ich ein pflichtbewusster Bürger bin (also zumindest gelegentlich, wenn es sich mit meiner chronischen Aufschieberitis vereinbaren lässt), wollte ich das heute endlich angehen. Also: Laptop auf, Tee bereitgestellt (Kamille – ich bin ja keine 20 mehr), den Hund mit einem Kau-Knochen ruhiggestellt. Ich öffne die Seite vom Bürgeramt, atme tief durch – und betrete das digitale Bermudadreieck.

Erste Hürde: das Captcha. „Wählen Sie alle Bilder mit Ampeln.“ Ich klicke. Eine davon sieht aus wie ein Kühlschrank mit Sonnenbrille, aber hey, sicher ist sicher. Weiter. Fehlermeldung. Noch mal. Jetzt sind’s Motorräder. Ich klicke konzentriert, während der Hund anfängt, seinen Knochen auf dem Teppich zu vergraben. Ich ignoriere es. Muss ich. Ich bin in einer sensiblen Phase – das System spürt jede Ablenkung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Captcha eine Form von seelischer Prüfung ist. Vielleicht gehört es zur Auslese. Wer das übersteht, verdient einen Termin. Nach dem dritten Fehlversuch lande ich auf einer Seite, die aussieht, als wäre sie 2002 in Frontpage gebastelt worden – mit Tabellenlayout und allem. Ich bin verwirrt. Habe ich aus Versehen das Darknet geöffnet? Oder die Parallelwelt, in der Zeit keine Bedeutung hat? Egal. Ich klicke auf „Termin buchen“. Nächste Seite. Es lädt. Und lädt. Und lädt. Ich kann zusehen, wie mein Laptop darüber nachdenkt, ob er diesen Auftrag moralisch vertreten kann. Dann:„Serverfehler. Bitte versuchen Sie es später erneut.“ In diesem Moment trampelt der Hund wie ein betrunkener Elch durchs Wohnzimmer, zieht den Laptop-Kabelsalat mit sich und bleibt mit der Pfote in meiner Jogginghose hängen. Ich verliere kurz das Gleichgewicht, schlage mit der Stirn gegen die Tischkante (nichts Dramatisches, aber genug, um mich an mein Menschsein zu erinnern) und während ich fluchend das Gerät rette, meldet sich mein Rücken. Bissig. Genervt. Als hätte er die ganze Zeit nur darauf gewartet, in den Streik zu treten.

Ich setze mich wieder hin. Versuche es nochmal. Neuer Tab. Neuer Versuch. Neuer Tee (diesmal Pfefferminze – Kamille hat versagt). Ich denke über mein Leben nach. Wie es so weit kommen konnte. Ich war mal jemand mit Träumen. Jetzt kämpfe ich mit HTML-Fehlermeldungen. Nach einer halben Stunde resigniere ich. Ich öffne Google und gebe ein: „Bürgeramt Termin ohne Wutanfälle buchen“. Der erste Treffer ist ein Meme. Ich lache. Kurz. Dann tief. Dann irgendwie traurig. Der Hund legt mir sein Spielzeug auf den Schoß. Ich nehme es. Wir spielen eine Runde. Ich meine, wer bin ich denn, gegen das Leben anzukämpfen? Am Ende schaffe ich es doch. Irgendwie. Über ein anderes Amt in einem anderen Stadtteil mit einem freien Slot in drei Wochen – um sieben Uhr morgens. Ich buche. Bestätigung kommt. Ich schreibe den Termin auf einen Zettel. Und den Zettel… verliere ich vermutlich morgen. Aber hey – ich hab’s versucht. Und das ist mehr, als ich gestern geschafft habe.



© Alexander Heller 2025-05-21

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Komisch
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