Sie streichelte seine Hand. Die Hand, die sie jeden Tag gehalten hatte. Jede Falte, jeden Leberfleck, jede Linie kannte sie auswendig. Jeden Tag hatte er mit diesen Händen für sie Klavier gespielt. Erst zu Hause dann hier im betreutem Wohnen, wo ein Klavier in der Halle stand. Jeden Abend hatte er beim Fernsehen damit ihre Hand gehalten und ihr jeden Morgen zur Begrüßung über den Kopf gestreichelt.
Sie waren wie Katz und Maus gewesen. Ihr ganzes Leben lang hatten sie fast jeden Tag gestritten. Sie liebte pink, Spitze und RĂĽschen, er Leder und weiĂź. Sie liebte Liebesfilme aus den 60ern und er Actionthriller. Obwohl sie bei fast allen Themen unterschiedlicher Meinung gewesen waren, war immer Liebe spĂĽrbar gewesen.
Kennengelernt hatten sie sich bei der Überfahrt von Amerika nach Europa. Sie hatte ihre Verwandten besucht und er wollte nach fünf Jahren zurück in seine Heimat. Er erzählte später immer wie er sie in ihrem gelben Kleid gesehen und sich direkt in das Mädchen mit den roten Locken verliebt hatte. Nach zwei Monaten dann der Antrag während einer Ruderfahrt auf dem großen See. Er hatte seine Freunde angestiftet ein großes Plakat auf der Brücke hochzuhalten und Rosenblätter von oben auf sie regnen zu lassen. Ein märchenhafter Start in ihr gemeinsames Leben.
In ihrem Kopf lief ihr gemeinsames Leben noch mal wie ein Film ab. Ehe, Haus, Kinder, Enkelkinder, frühe Rente für die Verwirklichung weiterer Träume. Sie hatten alles gemeinsam erlebt. In jeder Sekunde ihres Ehelebens war ihre Zuneigung für einander spürbar gewesen. In den Bio-Äpfeln, die er vom Einkaufen für sie mitbrachte, in der Reparatur ihres Autos oder in der Nuss-Schokolade, die sie ihm mitbrachte, wenn sie Einzukaufen ging.
NatĂĽrlich gab es auch schlechte Zeiten als sie ihr Haus durch eine defekte Leitung an die Flammen verloren und sich alles neu aufbauen mussten, als ihr jĂĽngster Sohn den schweren Motorradunfall hatte und Monate brauchte, um sich zu erholen oder als bei ihm der Krebs diagnostiziert wurde.
In all den Situationen hatten sie gemeinsam gekämpft und gesiegt nur den letzten Kampf hatten sie jetzt verloren.
Träne rollte ihre Wange herunter. “Wir sehen uns bald wieder, mein Geliebter” sagte sie.
© Anne Charlotte Luchtenveld 2021-08-14