Das Ende.

Franz Brunner

von Franz Brunner

Story

Ich schleudere ihn in weitem Bogen auf’s Meer hinaus, gegen die Wellen, gegen den Wind. Das ging schon mal besser, damit kann jemand wie ich nicht zufrieden sein. Ein zweiter Stein, wahllos aus der Meute zu meinen FĂŒĂŸen gegriffen, er muss dran glauben, folgt der Spur des ersten. Wieder nichts, eine miserable Leistung. Ich schiebe es auf den auflandigen Wind, greife mir prĂŒfend an die rechte Schulter. Kalkablagerungen, nichts Schlimmes. Normaler Alterungsprozess, meint mein Physiotherapeut. Und man könnte natĂŒrlich was machen, versuchte er mich vor einiger Zeit zu beruhigen. Ich hab‘ da meine Zweifel, was weiß ein 30-jĂ€hriger vom Alter, was vom Verschleiß. Nur Schulweisheiten, mehr nicht. Die Schulter beruhigt sich langsam wieder.

Höher. Schneller. Weiter. Da geht nichts mehr, so sehr ich mich auch bemĂŒhe. Nicht höher, nicht schneller nicht weiter, nur mĂŒhseliger, viel mĂŒhseliger. Ich setze mich auf die Steine am flachen Strand, gerade so, dass meine Hose nicht unterspĂŒlt wird, das sĂ€he peinlich aus. Ich hasse Peinlichkeiten. Immer weniger, die Gelassenheit nimmt langsam ĂŒberhand. Was geht den Menschen rund um mich meine feuchte Hose an? Genau, nĂ€mlich einen feuchten 
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Mir ist nach einem weiteren Versuch, diesmal im Sitzen. Mir ist klar, das kann nichts werden, es geht tatsĂ€chlich nur um’s Tun. Großartig, wie er fliegt, eine wahrhaft perfekte Parabel. Schon nach wenigen Metern ist seine Reise zu Ende, er versinkt auf Nimmerwiedersehen in den Wellen. Im Grunde nur Physik, reine, nackte Physik. Schwerkraft, Abflugwinkel und Abfluggeschwindigkeit, meinetwegen noch der Wind, wenige Parameter genĂŒgen und die Kurve ist gemalt. Und unvorstellbar schön. Jede, die so und anderswie entsteht, hat ihre eigene Schönheit, jeder Flug seine einzigartige Eleganz. Höhe und Weite sind vorherbestimmt, waren mir von jeher wichtig. Was sollen denn die anderen denken? Dass ich ein Weichei bin, mir Kraft und Technik fehlen, um die Steine weit zu werfen?

Ein letzter Schwung, ein letztes Mal im richtigen Moment den Griff gelöst, eine letzte Parabel. Ich genieße demĂŒtig, was die Physik zu malen imstande ist. Nach drei Metern plumpst der auserwĂ€hlte Flugkörper in die salzige Gischt, vermutlich wird er mit einer der nĂ€chsten Wellen wieder zu meinen FĂŒĂŸen liegen. Ich werde es nicht erwarten können, denn das Ende naht, es ist schon da. Gottlob, nur das Ende eines Urlaubs, den ich sehr genossen habe. Vollbepackt mit einem BĂŒndel unglaublicher Erfahrungen, die mich tief bewegen und die ich dankbar mit nach Hause nehme.

Jedes Ende bringt einen neuen Anfang, das eine bedingt unweigerlich das andere, sie machen ohne einander wenig Sinn. Mag sein, dass im nĂ€chsten Jahr die Flugbahnen kĂŒrzer werden, die AbstĂŒrze wieder plumper, an der Herrlichkeit der Parabeln wird das gar nichts Ă€ndern. Und wenn ich GlĂŒck habe, so richtig GlĂŒck und ĂŒberdies einen bemĂŒhten Physiotherapeuten, dann bin ich vielleicht sogar der Pilot meines restlichen Seins.

© Franz Brunner 2022-02-08

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