von Verena Brunner
Lieber Xaver!
Dir ist hoffentlich schon klar, dass das, was wir da miteinander machen, nur eine Flucht vor unseren wahren Themen ist, die wir uns eigentlich in diesem Leben vorgenommen haben. Es ist so wie das Eis, dass du eigentlich nicht essen solltest, wenn du Halsschmerz hast und es aber trotzdem tust, weil du nicht wahrhaben willst, dass du dir damit wahrscheinlich mehr schadest als hilfst.
Liebe ist ein komisches Gefühl. Verliebt sein entsteht durch körperliche Anziehung, Begehren. Ja, ich muss zugeben, ich bin in gewisser Weise in dich verliebt. Obwohl ich mir gestern schon kurz gedacht habe, dass du ein alter Mann bist. Ich habe nicht vor, dich meinen Freunden vorzustellen. Wir spielen ein Spiel, das wunderschön ist, solange wir uns nicht besitzen wollen. Irgendwie komisch während ich diese Worte schreibe, ist es so als würdest du sie hören, denn du meldest dich. Genauso war es vor drei Tagen, ich bin meinem Gefühl der Einsamkeit nachgegangen und dann hast du dich gemeldet.
Du bist so was von süß, wenn du mit mir über whatsapp flirtest.
Ich habe gerade in einem wunderbaren Buch gelesen, wir sollten uns immer zuerst das Ende einer Geschichte ausmalen. Ich könnte mir jetzt zum Beispiel ausmalen, wie das mit uns ausgeht. Wie siehst du das? Ich bin glücklich und zufrieden mit mir, meinem Leben, meinem Beruf, meinen Kollegen, meiner Arbeit, meinen Freizeitaktivitäten, ich mache Yoga wann ich darauf Lust habe.
Ich besinne mich auf die Dinge im Leben, zu denen es mich hinzieht und lerne jemanden kennen, ganz unerwartet. Es trifft mich wie ein Blitz, ich finde unsere Gespräche interessant, wir unternehmen Dinge gemeinsam, laufen uns immer wieder zufällig über den Weg. Erzählen uns gegenseitig von unserem bisherigen Leben und unseren Wünschen. Wir bauen Luftschlösser und sind uns unserer Anziehung bewusst und dennoch gehen wir es behutsam an.
Jede neue Begegnung ist ein vollkommenes Einlassen auf die Situation, eine liebevolle Hingabe an den anderen, an uns selbst. Wir genießen die gemeinsame Zeit und ebenso die Zeit alleine. Wir freuen uns, uns aus tiefstem Herzen zu sehen, teilen unsere Alltagssorgen, lachen gemeinsam darüber und sind füreinander da. Aufrichtige Hingabe.
Und du, lieber Xaver, gerätst dabei in Vergessenheit und bist so taktvoll weiter zugehen und mich ziehen zu lassen. Wir pflegen auch keine Freundschaft. Wir pflegen keinen Kontakt. Ich frage mich nicht, wie es dir wohl geht.
Ich habe großes Vertrauen, dass unsere Zeit miteinander vorbei ist, wir uns alles in diesem Leben gesagt haben, was wir uns vor Beginn dieses Lebens versprochen haben. Es gibt keine unerfüllten Wünsche, keine falschen Erwartungen, es ist alles gesagt und getan.
Die Welle ist vorbei und wird zu neuem Wasser. Das Leben fließt.
Ich bin erfüllt von unendlicher Liebe für mich und die Welt.
Ja, so sieht unser Ende aus.
Alles Liebe,
Sophie
© Verena Brunner 2022-11-04