von Nadine Krause
Auch wenn es voreingenommen klingt. Ich hab dich ein wenig beobachtet und auch deine Schwester Sarah! Du scheinst eine perfekte Schwester zu haben, die von deinen Eltern in den Himmel gehoben wird und du bist zu Hause ein Phantom. Du wirst zwar geduldet, aber nicht gesehen. Für einen Bad Boy bist Du zu smart. Also wartest du, bist du endlich von zu Hause ausziehen kannst!«, erklärte Lilja und hob dabei wohl wissend ihre Unterlippe nach oben und grinste. »Wow, dir scheint ja echt langweilig zu sein, wenn du mich so analysierst. Da hast du grob genommen recht. Aber meine Schwester wohnt gar nicht mehr bei uns. Wenn ich darüber nachdenke, war es aber so, solange sie bei uns gewohnt hat.» Aber woher weißt du das?«, fragte ich fast schon ein wenig sauer. Schließlich war das ja nicht gerade ein Kompliment. »Na ja, eigentlich geht es mir wie dir«, sagte sie schnell. »Ich hab eine wunderschöne, ältere Schwester, die eine intelligente Überfliegerin ist, während meinen Eltern jedes Jahr um meine Versetzung zittern«, antwortet Lilja. »Dass sie schöner sein soll als du, ist kaum zu glauben«, sagte ich leise, fast beiläufig und schaute verlegen auf meine Schuhe. Dann durchzog mich ein Schauer. Wieso machte ich einen auf Gentleman? Das passte gar nicht zu mir! »Das hast du süß gesagt, Danke!«, antwortete sie und strahlte mich wieder an. Oder immer noch? Es war kaum auszumachen. »Ok, dir ist langweilig. Was meinst du dagegen tun zu können? Das hier ist ja eher ein Ort um sich von Dingen zu erholen, die alles andere als langweilig sind. Ich fühle mich hier richtig lebendig und genieße es in vollen Zügen!«, sagte ich aufrichtig. »Na ja, du bist ja auch erst seit ein paar Stunden hier und hast anscheinend ein paar stressige Tage mit deiner Schwester und Dauerregen hinter dir. Klar, dass das hier für dich das Paradies ist! Nun stell dir mal vor, du arbeitest seit vier Wochen hier! Stehst jeden Morgen um sieben Uhr auf, gehst dann Mittags irgendwann mal zu den Duschen und Toiletten, um sie zu putzen und leerst die Mülleimer. Danach geht die Büroarbeit los und die immer gleichen Fragen von Touristen zum Campingplatz. Oder die Buchungen. Das Reparieren von Spülen, Boilern oder Tischbeinen. Abgesehen davon, dass mein Chef immer sehr väterliche und ungefragte Tipps gibt. Und immer muss ich lächeln und freundlich sein. Dabei wollte ich in diesen Wochen so viele Abenteuer erleben hier oben, bevor ich wieder in die Stadt muss!«, erklärte mir Lilja. »Was zum Beispiel?«, fragte ich neugierig. »Na ja, da gibt es eine Sache, die hier sogar möglich wäre, wenn du mir hilfst. Ein kleines Abenteuer. Bist du dabei?«, fragte Lilja. »Ja, klar!«, antwortete ich und ich war nicht mehr sicher, ob ich es war, der da antwortete. Lilja lächelte und stand auf, währenddessen stützte sie sich sanft an meiner Schulter ab. Das wäre sicher nicht nötig gewesen, da sie grazil und anmutig aus der Hocke, sicherlich auch ohne Hilfe hochkam. Ein Schauer durchfuhr mich und ich sah sie fragend an. Ich wollte nicht, dass sie geht. Ich wollte noch lange mit ihr an diesem tröpfchenbildenden Wasserfall in dieser hellen Sommernacht sitzen und über unsere Schwestern herziehen. Oder über alles andere reden.
© Nadine Krause 2024-03-05