von Sabine Rieker
Wo ist es? Ich folge meiner Intuition. Stehe vom Schreibtisch auf. Gehe fünf Schritte zum Sideboard. (Ich bin noch einmal aufgestanden, um die Schritte zu zählen;-)) Hieve das Duplohaus beiseite. Hebe die Ecke des StracciatellaTeppichs hoch. (Sein Muster inspiriert, ihn so zu nennen; die Schreibweise googelte ich gerade trotz zwei Semestern Italienischkurs …) Ziehe an der extra schwergängigen, (noch) kindersicheren Schublade. Lege Boxen, Bücher, Karten, Kartons und Weihnachtsbaumkugeln in Törtchenform nach links und rechts beiseite, bis ich am Boden auf meine violette Schmuckschatulle aus Kindertagen stoße. Ich hole sie vorsichtig raus. Schiebe den vergoldeten Verschluss nach rechts. Klappe den Deckel auf. Halte die stoffbezogene Trennkarte, für die mir noch kein besserer Begriff eingefallen ist, hoch, und siehe da, tada: mein Geburtsarmband. Noch habe ich es nicht berührt. Es liegt da in einer Ecke. Ich lese auf dem linierten Papierstreifen unter der rosa Plastikhülle die Kulihandschrift:
Rieker ♀ 3600gr 55cm
Da steht noch mehr. Doch ich finde erst einmal das Geburtsarmband meiner Tochter.
Aufstehen. Gehen. Drei Schritte mehr zur Schublade weiter links. Spielzeug aus dem Weg räumen. Teppich. Ziehen. Kramen — kürzer als zuvor. Und da ist sie auch schon: L.s hellblau metallene Schatzkiste mit Elefanten darauf, die ich bei dm während der Schwangerschaft für sie fand. Deckel öffnen. Das Geburtsarmband liegt ganz oben. Ich lese auf dem linierten Papierstreifen unter der rosa Plastikhülle die Kulihandschrift ihres Papas:
Vorname Zweitname Nachname
Sternchen TagPunkt Monat Jahr
Erst tippe ich ab, was ich gelesen habe. Dann denke ich: Datenschutz! Ich lösche und tippe neu. Das, was Du gerade gelesen hast.
Jetzt lege ich die beiden Bänder nebeneinander, um sie näher zu betrachten.
Das gleiche Material. Das gleiche Design. Das (fast) gleiche Rosa.
Mein Druckknopf steckt im sechsten, ihrer im fünften Loch. Erstaunlich, denn sie war bei ihrer Geburt leichter und kleiner als ich bei meiner.
Die unterschiedlichen Informationen … War mein Vorname nicht wichtig oder stand er noch nicht fest? Ich frage mal meine Eltern; erinnern sie sich an die Umstände?
Die Handschrift ähnelt weder der meiner Mutter noch der meines Vaters. Beschriftete die Hebamme mein Armband?
Ob Jungen hellblaue Bänder bekommen? Heutzutage gibt es sog. Identifikationsbänder in vielen verschiedenen Farben, was der Diversität entspricht. Wird meine Enkelin in spe auch ein solches Schmuckstück tragen? Wer wird was darauf schreiben? So oder so werde ich die beiden bestehenden Bänder wohl noch eine Weile bewahren.
© Sabine Rieker 2023-01-29