Das fast perfekte Pferd

Teresa Kaiser-Schaffer

von Teresa Kaiser-Schaffer

Story

„Mama, malst du mir ein Pferd?“ Ich merke, wie mir gerade die Kinnlade herunterfällt. Ich … ein Pferd malen…?!

„Eh nur so ein kleines braunes! Die Mama von der Mia hat der Mia voll das schöne gemalt. Bitte, Mama!“ Die Mama von der Mia! Die kann alles: wunderschön eingeflochtene Zöpfe an einem ganz normalen Dienstag in der Früh, Geburtstagstorten in Prinzessinnenform mit Glitzer und Perlen, die auch noch schmecken, und dann immer noch völlig entspannt zu allem lächeln und bei jeder Elternaktion mitg’schaffteln. Die Mama von der Mia halt. Ja, wenn die das kann, dann muss ich es wenigstens versuchen. Es wär ja jetzt nicht so, dass ich so allgemein nicht wüsste, wie ein Pferd generell aussieht. Also daran liegt es nicht! Aber: Das, wie das Pferd oder was auch immer in meinem Kopf drinnen aussieht, ist nie das, was dann auf dem Papier landet. In meiner Vorstellung, da kann ich super-toll malen. Da passt jede Proportion und da kann ich auch Objekte in Bewegung malen. Und dann fange ich an zu zeichnen. Meine Vorstellung verabschiedet sich meist sehr schnell zurück in die Untiefen meines Gehirns – vermutlich vor Scham – und auf dem Blatt landet ein nicht definierbares Etwas.

Schon beim Ansetzen des braunen Farbstiftes merke ich auch jetzt, dass ich leider nicht unerwartet über Nacht zur Zeichenkünstlerin aufgestiegen bin. Kaum ist der erste Strich am Papier, kommt mir schon vor, dass er falsch ist. Zum Glück gibt’s das Internet mit vielen netten Bildern und so google ich mich mal rasch durch und finde auch wirklich passende Vorlagen. Der erste Strich wird ausradiert und ich setzte erneut an. Richtig schwungvoll gehen mir die nächsten Züge von der Hand. Fast habe ich das Gefühl, als wäre ich von einer Muse geküsst worden. Mir beginnt die Zeichnerei tatsächlich so etwas wie Spaß zu machen. Bauch und Rücken sind mir gelungen – ja, das kann ich wirklich stolz so behaupten. Gut, bei den Beinen muss ich ehrlicherweise zugeben, dass sie eher wie vier Tischbeine aussehen – wie vier sehr massive Tischbeine sogar.

„Mama, hast du jetzt schon mein Pferd fertig?“

Gut, dann bleibt es eben bei den Tischbeinen. Fehlen nur noch Hals und Kopf. „Das kann ja nicht so schwer sein“, denke ich noch gerade als ich feststelle, dass das sehr wohl schwer sein kann – und wie! Nach dreimaligem, komplettem Verwerfen von Kopf und Hals und kurz bevor das Blatt löchrig radiert ist, hat mein Pferd zumindest diese beiden Körperteile auch. Ich halte die fertige Zeichnung etwas von mir entfernt in die Luft. Perfekt ist das Pferd nicht. Keine Frage. Aber auch nicht so ganz ganz daneben, wie ich meine. Schnell noch einen Schweif dazu und dann strecke ich das Kunstwerk mit einem erwartungsvollen Blick meiner Tochter entgegen.

Fragend blickt sie abwechselnd zu mir und dann wieder auf das Papier vor ihr: „Und für wen hast du jetzt den Drachen gemacht?“

© Teresa Kaiser-Schaffer 2019-10-18

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