Das Feilschen um die Zeit

Sandra Hermes

von Sandra Hermes

Story

Er sitzt bei mir am Tisch. Wir überlegen, wie es mit den Besuchen bei ihm weiter geht. Seit der Trennung vor zwei Monaten sind sie jedes Wochenende einen Tag bei ihm. Sein Wunsch: Die Kinder sollen alle zwei Wochen für 5 Tage/4 Nächte bei ihm sein. Zusätzlich kommt er einmal unter der Woche abends zu uns. Er will nicht nur Besuchspapa sein. Er will Kontakt zu den Kindern.

Wir lassen jetzt mal außen vor, dass er sich bewusst gegen die Familie entschieden hat. Wir bewerten nicht, dass er bis jetzt weder einen Arzttermin vereinbart noch einen Kinderbetreuungsplatz gesucht hat. Auch der Männerabend war wichtiger, als der Großen Fahrrad fahren beizubringen oder mit dem Kleinen laufen zu üben. Schwierige Situation hat er gemieden. Entscheidungen treffen, Wochenenden planen oder Essen vorbereiten war nicht sein Ding.

Es wäre also löblich, dass er als Vater mehr will, als nur Besuchspapa sein. Aber ist es zum Wohle der Kinder von null auf vier Nächte zu erhöhen? Einen Zweijährigen für vier Nächte von der Mama zu trennen? Eine Vierjährige, die die Trennung bewusst erlebt hat, vom Halt der Mutter für fünf Tage zu lösen?

Auf mein Gefühl hören

Und wenn ich das mache, dann sage ich als Mama deutlich: Nein. Halt ist jetzt das Wichtigste. Und den gebe ich. Immer schon. Und das Gesetz gibt mir Rückhalt. Bei Kleinkindern rät man zu einem öfteren, aber kürzeren Kontakt. Es geht um die Sicherheit der Mama und einer Entfremdung vorzubeugen. Das ist für mich mehr als stimmig.

Das neue Wochenendgefühl

Anfangs fand ich es furchtbar, meine Kinder nur das halbe Wochenende zu sehen. Das war nicht das, was ich wollte. Niemals. Aber ich habe mein Bild neu gezeichnetund sehe der Realität ins Auge: Mit ihm als Mann und Vater kann ich Familie nicht leben.

Nun habe ich mit meinen Lieblingskindern zwar nur einen Tag, aber dieser eine Tag ist genial: Wir setzen uns auf die Fahrräder und gehen Eis essen. Oder wir besteigen Berge und essen Wurstbrote auf dem Gipfel. Und dabei lachen und tanzen wir. Wir kuscheln und schmusen. Wir streiten und versöhnen uns.

Der andere, zweite Tag gehört dann mir. Milchkaffee trinken, Schuhe kaufen, Freundinnen tratschen. Einfach mir. Und diese Kombination – ein Tag mit und einer ohne Kinder – gibt mir Kraft. Für eine neue Woche mit zwei Kleinkindern, die trotzen, schreien, fordern.

Der Weg ist das Ziel

Mein Gegenvorschlag darum an ihn: Wir starten mal alle zwei Wochen mit einer Übernachtung von Samstag auf Sonntag und arbeiten uns so mal auf den Sommerurlaub hin. Wenn das gut läuft, dann erhöhen wir auf eine Übernachtung pro Woche. Bedingung dafür: Keine Machtspiele, wer der bessere Elternteil ist und ein Austausch zum Wohl der Kinder. Weitere Ausbaustufe: Noch offen. Zwei Nächte möglich.

Es geht in die richtige Richtung und es ist mehr als üblich, wie mein Familientherapeut findet. Das ist aber ganz schön viel, wie meine Freundinnen finden. Es ist immer noch zu wenig, wie er findet. Aber ich finde, das ist ein guter Start.

© Sandra Hermes 2022-12-12

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