Auf den ersten Blick sahen die Gänseblümchen auf dieser Wiese mitten im Wald alle gleich aus, doch sobald man sie genauer betrachtete, konnte man feststellen, dass einige sorgsam frisiert, andere wiederum zerzaust, manche fast mager und andere dagegen wieder recht pummelig wirkten. Jedes dieser kleinen zarten Blümchen hatte natürlich einen Namen. Das Gänseblümchen Sonnenschein war aber etwas ganz Besonderes, denn es wirkte keineswegs frisiert, auch nicht zerzaust, denn dieses kleine Blümchen hatte echt eine Glatze. Leuchtend gelb streckte es sein Blumenköpfchen lustig in die Welt, doch es wies kein einziges Blütenblatt auf, es war wirklich eben glatzig. Doch dieses zarte Blümchen war darob gar nicht traurig, weil es nicht so aussah wie alle ihre Schwestern auf der Wiese. Im Gegenteil, es blies sich ein Liedchen, trällerte vor sich hin und lebte froh in den Tag hinein. Eines Tages jedoch geschah etwas ganz Merkwürdiges. Ein riesiger knallgrüner Käfer setzte sich genau auf die Glatze des Gänseblümchens Sonnenschein und wollte sich eben von Frau Sonne streicheln lassen. Natürlich rutschte der Käfer immer wieder ständig ab, bloß diesem gefiel dieses Spielchen so sehr, dass er jedes Mal von Neuem hochzuklettern begann. Und immer, wann es wieder so weit war, dass sein Absturz nahe bevor stand, musste der grüne Käfer so herzlich und lautstark lachen, dass alle Blumen ringsherum genau auf dieses Gänseblümchen aufmerksam wurden und dieses natürlich der Mittelpunkt der ganzen Umgebung war. Das Blümchen konnte ja nicht wissen, der Käfer hatte immer wieder beim Abrutschen so ein eigenartiges Sekret auf die Glatze dieses Blümchens gespuckt, sodass still und heimlich die Samen der Löwenzahnblumen, die eben gerade im Vorbeiflug waren, sich darauf niederließen und natürlich zu kleben begannen. Im Nu sah es aus, als hätte das glatzige Blümchen die tollste Frisur auf der ganzen Wiese. Der Käfer war zwar traurig, weil er dadurch keinen Platz zum Rutschen mehr gefunden hatte. Ein paar Tränen flossen über sein fast wehmütiges Gesichtlein. Er krabbelte seines Weges weiter und dachte noch lange zurück auf sein lustiges Abenteuer. Auf einmal erzitterte der Boden fast, denn ein Lehrer kam mit seiner Schulklasse bei einer Wanderung genau auf dieser Wiese vorbei. Die Kinder tollten herum und plötzlich erblickte der Lehrer dieses eigenartige Gänseblümchen, er rief natürlich seine Schulklasse herbei. Alle waren entzückt davon und machten Fotos von diesem komischen Gänseblümchen. Dies erregte noch mehr Aufmerksamkeit bei seinen Geschwistern rundherum. Dieses Gänseblümchen war zum Mittelpunkt dieses Tages geworden. Auf einmal begann es kräftig zu regnen. Der Lehrer entfernte sich rasch von der Wiese mit den Kindern.
Doch der Regen wusch dem Köpfchen des Gänseblümchens die Löwenzahnfäden wieder weg. Aber es träumte noch lange davon, dass es damals so eine tolle Frisur hatte und vorher der Käfer sich auf ihrer Glatze richtiggehend wohlfühlte.
Die Moral von dieser Geschichte: Das Anderssein akzeptieren.
© agnes thinschmidt 2024-01-17