Das Gedankenexperiment

Vic-Nova Lenk

von Vic-Nova Lenk

Story

Stellt euch vor, ihr seid in einem Lokal mit Freund*innen. Ihr habt eine feine Zeit, tolle Gespräche und gutes Essen. Während ihr esst, trinkt ihr natürlich auch. Das Getränk kann beliebig sein, bei mir ist es meist Bier.

Ihr sitzt jetzt schon länger zusammen und dann fangt ihr an es langsam zu spüren – Ihr müsst langsam aufs Klo. Das klingt im ersten Moment simpel, ist es aber wirklich nicht.

Jetzt stellt euch nämlich vor, ihr geht Richtung WC – Ihr steht vor den Türen und keiner dieser Türen passt für euch. Ihr wisst, egal wo ihr jetzt hineingeht, ihr fühlt euch unwohl und fehl am Platz.
Die Tür mit dem Piktogramm mit dem Rock oder doch das mit Hose? Die Tür, wo ein Anzugschuh draufgeklebt ist oder doch die, wo ein Highheel drauf ist? Die Tür die blau ist oder die in Rosa?

Stellt euch vor, ihr steht vor diesen Türen und wisst nicht, wohin mit euch – Ihr hattet gerade noch so eine feine Zeit und nun steht ihr schon fünf Minuten verzweifelnd vor diesen Türen, wo euch die Auswahl wie Not gegen Elend erscheint.

Nun stellt euch vor, dass ihr euch für einer dieser Türen entscheidet – einfach weil ihr echt schon dringend müsst und nicht weil ihr wählen wollt oder gar könnt. Für welche ihr euch entscheidet, ist dabei komplett irrelevant.

Stellt euch vor, ihr sitzt endlich auf einer Toilette – doch euer Stresspegel geht noch mehr hinauf. In eurem Kopf kreisen Gedanken. Gedanken, die sagen: „Du bist hier falsch!“, „Überlege dir jetzt schon mal eine passende Antwort, wenn dich jemand drauf anspricht, was du hier machst!“ und „Du gehörst da einfach nicht her!“. Wie schon davor gesagt, für welche Tür ihr euch zuvor entschieden habt, spielt dabei keine Rolle. Diese Gedanken sind so oder so da – und dass LAUT!

Nun stellt euch vor, ihr seid fertig. Ganz hastig wascht ihr euch die Hände und versucht so schnell wie möglich hinauszukommen, bevor eine andere Person den Raum betritt.
GESCHAFFT! Ihr seid endlich draußen. „So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn man es grade noch aus einem Raubtiergehege geschafft hat.“: denkt ihr euch, während hinter euch die WC-Tür zufällt. Ihr könnt zurück zu eurem Tisch, zu euren Leuten und hofft einfach, dass ihr so bald nicht mehr aufs Klo müsst.


Und nun stellt euch vor, dass das für viele Menschen Realität ist. Für die binär getrennte Toiletten nicht passen. Die davor, währenddessen und danach Verzweiflung, Angst und/oder Panik verspüren. Dass diese Emotionen nicht nur in Gedankenexperimenten da sind, sondern schrecklicher Alltag ist.

Stellt euch vor, dass könnte man so simpel ändern, wenn es Toiletten für alle Menschen gibt und man aufhört nur im binären System zu denken und zu bauen.

© Vic-Nova Lenk 2024-02-26

Genres
Anthologien, Biografien
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Angespannt