von Evelyn Peichl
Es ist eine seltsame Stille, die sich ausbreitet, wenn Sicherheit plötzlich zur Illusion wird. Der Generalschlüssel – ein kleiner, unscheinbarer Gegenstand, den man im Alltag kaum beachtet – hat nun die Macht, das Leben zu bestimmen. Nicht mehr in den eigenen vier Wänden sicher sein zu können, ist eine beklemmende Erfahrung, die ich vorher nie so empfunden habe. Jeder Schritt im Flur, jedes Geräusch wird zum Signal für Gefahr. Die Tür, die einst die Grenze zwischen mir und der Außenwelt bildete, fühlt sich jetzt wie ein durchlässiges Netz an, als könnte es jederzeit durchbrochen werden. Ich habe zwei Stühle vor die Tür gestellt. Das gibt mir ein wenig das Gefühl, Kontrolle zurückzugewinnen. Es ist eine armselige Beruhigung und doch klammere ich mich daran.
Tagsüber habe ich keine Angst. Die Sonne, die Geräusche von Menschen und das Leben um mich herum, lassen die Unsicherheit in den Hintergrund treten. Es fühlt sich fast normal an. Aber sobald die Nacht hereinbricht, ändert sich alles. Dann wird jedes Geräusch, jedes entfernte Klappern oder Knarren zum potenziellen Alarmsignal. Es gibt Maßnahmen, die getroffen wurden, um uns zu schützen. Es ist beruhigend zu wissen, dass diese Vorkehrungen existieren und ich weiß, dass ich objektiv sicher bin. Doch die Gefühle folgen nicht immer der Logik. Trotz der Sicherheit fühlt es sich anders an – weniger stabil.
Es ist nicht nur der Schlüssel, der mir Angst macht, sondern die Unsicherheit, die er mit sich bringt. Ich weiß nicht, wer ihn jetzt hat. Ein Fremder? Jemand, den ich kenne? Jemand, der die Macht genießen könnte, in meinen Raum einzudringen? Jede Bewegung draußen vor der Tür, jedes Geräusch aus dem Flur, lässt mich zusammenzucken. Mein Puls beschleunigt sich, mein Atem wird flacher und ich lausche angestrengt, um herauszufinden, ob die Bedrohung real ist oder nur in meinem Kopf existiert. Ich fühle mich, wie eine Gefangene in meinem eigenen Zimmer, unfähig, zu entspannen oder den Moment zu genießen. Noch vor einigen Tagen, war mein Zimmer ein Rückzugsort, ein zu Hause, ein sicherer Hafen inmitten des Chaos der Welt. Jetzt ist es eine Festung, die ich nicht verlassen möchte. Doch selbst hier, fühle ich mich verletzlich. Es ist ein paradoxer Zustand: Ich bin gleichzeitig gefangen und doch völlig schutzlos.
Die Angst begleitet mich die Nacht hindurch. Was, wenn jemand hereinkommt, während ich schlafe? Was, wenn ich nicht schnell genug reagieren kann? Die Möglichkeit, dass jemand, den ich nicht kenne, diese Macht über mich hat, ist schwer zu ertragen.
Es gibt keinen einfachen Weg, mit dieser Situation umzugehen. Aber manchmal reicht es, wenn auch nur für einen kurzen Moment, das Gefühl zu haben, etwas getan zu haben – auch wenn es nicht perfekt ist. Doch eines weiß ich sicher: Das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein, verändert einen. Es nimmt einem die Leichtigkeit, den Frieden, die Selbstverständlichkeit, mit der man sich in seinem eigenen Raum bewegt. Ich hoffe, dass diese Zeit bald vorübergeht, dass es eine Lösung gibt, die mich wieder durchatmen lässt. Bis dahin werde ich hier sitzen, lauschen, wachen – und die Stühle vor der Tür behalten.
© Evelyn Peichl 2025-01-20