Er war unbesiegbar. Deutlich fühlte er zu schweben. Ja er konnte fliegen. Übernatürliche Kräfte spürte er in sich. Er stand auf dem Dach seines Wohnhauses und freute sich, dass endlich so viele Leute gekommen sind um ihn zu bewundern. Endlich, denn Hannes war noch nie in seinem Leben wirklich ernst genommen worden. Da unten standen sie – endlich hatten sie seine wirklichen Fähigkeiten erkannt. Mit blinkendem Blaulicht machten sie auf das kommende Ereignis aufmerksam.
Ein Mann in Uniform balancierte auf dem Blechdach. Er war riesig groß. Er bewegte sich patschert auf dem abschüssigen Dach. Hannes musste lachen. So wird der nie fliegen können. Der braucht es gar nicht zu versuchen. „Man kann über alles reden…“ wusste der Uniformierte überhaupt was er sagte. Reden? Über was? Fliegen kann nur er – Hannes! Jetzt bemerkte er es: der wollte sich anklammern und mitfliegen. Warum nicht? Ja wirklich er umarmte ihn, warf ihn um und drückte ihn auf das Dach. Hannes wunderte sich, der Uniformierte und auch alle anderen Uniformierten, die jetzt kamen, waren angeseilt. So kann doch niemand fliegen…
Angefangen hatte es ein paar Wochen zuvor nach einem Ausflug, den vier Freunde in den nahen Wald unternommen haben. Und da machen sie einen Fund: Nur drei Pilze – für vier Leute. Noch war allen zum Scherzen zumute. Drei rote Pilze mit weißen Punkten – Fliegenpize. Ja natürlich war bekannt, dass es sich um Giftpilze handelt, aber man hatte auch gehört, dass diese Pilze auch eine Art Ersatz für Rauschgift sein können. Und das wollten die vier Freunde probieren. Wie aber nimmt man sie zu sich? Erfahrung damit hatte niemand.
Also zunächst einmal ein ganz kleines Stückerl herunter schneiden. Roh hinunterschlucken. Bei dreien zeigte es gleich Wirkung: Brechreiz, Magenkrämpfe. Nur bei Hannes blieb jede Reaktion aus. Er schnitt sich noch ein Stück herunter. Ein größeres. Und noch eines. Da stellte sich endlich ein Gefühl ein wie bei einem Alkoholrausch. Ein Glücksrausch durchfuhr ihn. Seligkeit, Euphorie.
Auch die drei anderen hatten sich noch StĂĽcke genehmigt. Sie berichteten von AngstgefĂĽhlen und Depressionen. Nach einem Tiefschlaf konnte sich keiner mehr wirklich; nur Hannes blieb eine vage Erinnerung an die Leichtigkeit an das Schweben. Das GefĂĽhl wollte unbedingt noch einmal erleben.
Die Selbstgefährdung war wohl mit Sicherheit anzunehmen und Hannes kam in therapeutische Behandlung. Dort kam er zwar nicht mit Fliegenpilzen in Berührung, wohl aber mit einem Klebstoff, mit dem Möbel repariert wurden. Von dort weg versank sein weiterer Weg in der Dunkelheit der Umnachtung.
Den Termin zur Schuldnerberatung der noch vor dem Waldausflug vereinbart worden ist, hat er nicht mehr wahrnehmen können. Sein Sachwalter schilderte mir das Ende von Hannes: er hat sich fort gekifft lebte einige Jahre in einem Dämmerzustand – ehe er tot aufgefunden wurde. Neben einem KĂĽbel von Plakatkleber.
© Wolfgang Ferdinand Vogel 2020-02-22