Das grüne Haus

Brigitte Thonhauser

von Brigitte Thonhauser

Story

Es war eine verrückte Idee, und alle unsere Freunde schüttelten darüber den Kopf: Wir wollten mitten in die Wildnis einen Gartenpavillon stellen, zu dem es weder eine Zufahrt noch Wasser, Strom, Kanal etc. gab. Um zu unserem Grundstück zu gelangen, musste man sich durch ein Gestrüpp von Disteln, Dornen, Kletten und Brennnesseln kämpfen, oder – wie alle meinten – mit dem Hubschrauber landen. Dennoch wollten wir dieses Stück Land, das mir als Erbteil zugefallen war, erobern und einen ersten Schritt dahin setzen. Außerdem war noch gar nicht sichergestellt, dass das Gelände jemals ein Baugrund werden könnte, da weder der Verlauf einer Zufahrtstraße noch die nötigen Zuleitungen geplant waren.

Wir entwarfen einen sechseckigen Pavillon mit einer Sitzbank darin, und beauftragten einen Zimmermann mit der Durchführung. Da in Perchtoldsdorf der Wind oft aus verschiedenen Richtungen wehen kann, fanden wir eine geniale Konstruktion, um es im Inneren stets windstill zu haben: die schräg mit Holzlatten vergitterten Fensteröffnungen erhielten im Inneren Fensterläden, die stufenweise nach oben geklappt und an Haken befestigt werden konnten. Je nach Windrichtung konnte man also die Einen schließen und die Anderen öffnen. Auf die Spitze des Blechdaches setzten wir einen Wetterhahn, der uns anzeigen sollte, aus welcher Richtung der Wind gerade kam. Der Pavillon wurde dunkelgrün angestrichen und hieß seither „Das grüne Haus“. Um unseren Bedarf an Wasser zu stillen, legten wir einen Schlauch zum benachbarten Garten meiner Eltern. Beim lauten Zuruf „Bitte aufdrehen“ drehten diese den Wasserhahn auf und das Wasser floss bis wir „Bitte zudrehen“ riefen. So verbrachten wir unsere ersten Wochenenden im grünen Haus und schmiedeten Pläne, wie wir aus der Wildnis um uns einmal einen Garten machen oder sogar ein Haus darauf bauen könnten. Freunde kamen zu Besuch und waren begeistert von der Einfachheit dieses Lebens, denn wir konnten Ihnen die gewohnten und aufwendigen, kulinarischen Genüsse hier nicht bieten, sondern bestenfalls Schmalzbrot und Wein. Dafür hatten wir mehr Zeit und Muße für gute Gespräche und den Austausch so mancher tiefer Gedankengänge.

Heute hat man vom grünen Haus einen wunderschönen Blick über den Garten und zu unserem Wohnhaus. Diese Distanz ist immer noch sehr inspirierend und gibt Anlass, Abstand zu gewinnen und manche Dinge dadurch aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, zu studieren, zu meditieren oder zu beten.

© Brigitte Thonhauser 2019-05-23