Das grĂŒne eher blaues Ei

Pam Al

von Pam Al

Story

Das erste, woran ich mich erinnere, ist dieses Huhn. Wir hatten immer HĂŒhner zu Hause, auch wenn wir mitten in der Hauptstadt wohnten. Meine Oma schlachtete das Huhn vor meinen Augen, dem achtjĂ€hrigen Enkel. Ich habe nicht nur zugesehen, sondern auch mitgeholfen: Meine Aufgabe war es, das tote Huhn zu rupfen. Es hat sich so angefĂŒhlt, als ob das Huhn Millionen von Federn hĂ€tte. Das Huhn musste in kochendes Wasser getaucht werden, um die Federn loszuwerden, meine HĂ€nde auch. Ich habe mich durchgequĂ€lt aus reiner Angst vor meiner Oma, vor ihrer EnttĂ€uschung. Nach ein paar Rupfen-Angelegenheiten war ich voll an die Prozedur, daran gewohnt und dachte mir, ich wĂ€re allmĂ€chtig, bin ich aber nicht. Jetzt stehen wir auf unserem Balkon, der verseucht mit Tauben ist und beobachten ein kleines grĂŒnes Ei (das Ei ist eher blau, sagst du und fĂ€ngst schon wieder an, mich zu bestreiten, dieses ist aber meine ErzĂ€hlung). Wir möchten, koste was es wolle, die Tauben nicht mehr als Mitbewohner haben, aber keiner von uns traut sich zu, etwas mit dem Ei zu unternehmen.

– wenn jemand von uns sich um dieses Ei kĂŒmmern kann, dann Du. Du hast letztendlich schon Erfahrung damit. Meine Oma hat mir so was nicht beigebracht – sagst du als Witz. Verdammt sei der Tag, an dem ich die Geschichte erzĂ€hlt habe. Seitdem bist du davon ĂŒberzeugt, dass meine Bestimmung ist, Tiere zu exterminieren: Spinnen, die Nacktschnecken im Blumenkohl aus dem Bio-Laden in der Ecke und jetzt Tauben angeblich auch. Übrigens, nehme ich die einfach aus der Wohnung raus, ich habe nie eines dieser bedrohenden Monster umgebracht. Ich schweige und du gehst rein und machst dich fĂŒr den Tag bereit, es dauert ungefĂ€hr eine Stunde bis zur Arbeit, du hast schon genug Zeit verschwendet.

Ich bleibe zu Hause und frĂŒhstucke mit dem Ei als einzige Gesellschaft. Ich mĂŒsste eigentlich an meiner Dissertation arbeiten, aber ich kann mich nicht zwingen, ein einziges Wort aufs Papier zu bringen. Wenn die Muse mich kaltblutig verlĂ€sst, gehe ich in den botanischen Garten, der so schön in der NĂ€he liegt. Das GewĂ€chshaus besuche ich immer wieder gerne, Victoriahaus heißt es ja, da riesige Amazonas-Riesenseerose alias Victoria Amazonas da zu Hause sind. Es tröstet mich, dass sie gelassen auf dem Wasser liegen, als ob draußen nicht Winter wĂ€re, als ob ihre Heimat nicht tausend von Kilometern entfernt lĂ€ge. Sie schaffen es, ich schaffe es.Nach einer guten Stunde Treibhaus-Therapie kehre ich in die Wohnung zurĂŒck und schaue nach dem grĂŒnen/blauen Ei. Es ist nicht mehr da, es ist nirgendwo zu sehen. Ich rufe dich heulend an – wo ist das Ei? Wie konntest du es nur einfach wegzuwerfen? Du unterbrichst und fragst: Hast du an die Kira gedacht (seine Katze)?, sie frisst halt gerne Ei, geht es ĂŒberhaupt ums Ei ?

Ich lege ohne weiteres ab und weine weiter, weil es um das Ei nicht geht, weil ich nicht ruhig in diesem Land stehen kann, weil mir schmerzlich bewusst ist, dass Berlin tausend Kilometer von zu Hause entfernt ist.

© Pam Al 2022-03-04

Hashtags