von Sabine Doods
Wenn die Donau zu viel Wasser führte, überschwemmte sie den Handelskai und das Wasser erreichte auch das Eckhaus am Mexikoplatz. Immer wenn dies der Fall war, standen die Keller komplett unter Wasser. Manchmal wurde eine Art Steg gebaut, damit man von der Eingangstüre mit trockenen Füßen die Stufen zum Mezzanin erreichte. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich noch miterlebt habe. Ob die Donau nicht schon reguliert war, als ich meine Großeltern besuchte. Ist es meine Erinnerung, oder sind es die Erzählungen der beiden gewesen, die diese Bilder in mir erwecken? Vor meinem Auge ist auch ein Ruderboot, mit dem man zum Stiegenhaus geführt wird. Das habe ich aber definitiv nicht erlebt. Woher das Bild stammt, weiß ich nicht.
Das Haus am Mexikoplatz war eine Dienstwohnung, mein Opa arbeitete bei der DDSG. Die Wohnung lag im 3.Stock, Aufzug gab es keinen, dafür unzählige Stufen. Geheizt wurde mit Briketts, die mein Opa einzeln in Zeitungspapier einwickelte. Sie wurden im Keller gelagert und in einem Rucksack von ihm in den 3.Stock geschleppt.
Das Wohnzimmerfenster schaute auf die Reichsbrücke. Einmal dann nicht mehr. Eines Morgens wurde meine Oma von einem lauten Geräusch geweckt, und als sie beim Fenster hinausblickte, war da keine Brücke mehr. Damals war ich 1 Jahr alt, kann mich nicht mehr erinnern, aber Erzählungen gab es zuhauf. Die Straßenbahn die statt der U1 den 22. mit dem 2.Bezirk verband, ist mir jedoch noch ein Begriff. Die Fahrt dauerte ewig.
Der 3.Stock war auch der Letzte, es wohnten wenige Parteien im Haus, alle kannten sich und ihre Lebensgeschichten. Die Bassena wurde zwar nur mehr zum Blumengießen benutzt, dennoch war der Gang ein beliebter Treffpunkt.
Im Park neben der Kirche gab es nach dem Fall des eisenen Vorhanges einen blühenden Schwarzmarkt. Untertags konnte man den Park kaum queren, es gab dort alles zu kaufen. Meine Oma bat mich stets, außen herumzugehen, da einmal jemand im Gemenge erschossen worden war. Der Platz hatte etwas Verruchtes, Gefährliches an sich.
Irgendwann war das Haus sehr alt und eine Renovierung zahlte sich nicht mehr aus. Zumal die Miete sehr günstig war, man hätte die Leute wohl nur schwer freiwillig dazu gebracht, mehr zu zahlen oder umzuziehen. Und so wurde das Haus am Mexikoplatz abgerissen. Meine Großeltern zogen in eine Gemeindewohnung beim Praterstern, und ein seelenloses Bürogebäude nahm den Platz meiner Erinnerungen ein.
© Sabine Doods 2021-04-15