Das Haus der Frauen

Karin Sieder

von Karin Sieder

Story

Ich bin überzeugt, dass jedes Haus, jeder Platz eine gewaltige Geschichte erzählen könnte. Als meine Oma verstarb, verstarb eine Reihe von starken Frauen, die das Haus Preuwitz 26 prägten.

Erbaut wurde es 1883 von Magdalena und ihrem Mann Josef, der während ihrer zehnten Schwangerschaft an Lungentuberkulose verstarb. 1902. Die älteste war bereits 15 und wurde bald darauf nach Wien in den Dienst gegeben. So erging es auch mit der zweitältesten. Spannend scheint zu sein, dass von den 10 Geburten nur ein Sohn darunter war. Von Magdalena und ihrem Leben wissen wir wenig. Aber sie schaffte es, 8 ihrer 10 Kinder ins Erwachsenenleben zu führen.

Am Haus blieb Paulina. Meine Urgroßmutter. Sie heiratete gegen Ende des Ersten Weltkriegs einen verdienten K.u.K. Feldjäger. Wurde verheiratet? Eher wahrscheinlich. Wie sonst hätte ein junges Mädchen vom Land einen K.u.K. Feldjäger aus Wien kennenlernen sollen. Und wo. Er stammte zwar aus einem Dorf nur 30 km von unserem Zuhause entfernt ab, aber 30 km waren in autolosen Zeiten eine wahrliche Leistung. Außerdem fiel mir bei der Durchsicht der Trauungsbücher auf, dass einige Mädchen der Pfarre mit Soldaten verheiratet wurden. Sie gebar fünf Kinder. Von meinem Urgroßvater weiß ich nur, dass er eine Kriegsverletzung hatte und irgendwann zwischen den Weltkriegen verstarb.

Mein Großvater übernahm das Haus und den kleinen Bauernhof. Er heiratete bald nach dem Zweiten Weltkrieg und war der ausgeglichenste Mensch, der mir je untergekommen ist. Er sang und pfiff viel. Das ist mir geblieben. Er hatte Krebs und verbrachte viel Zeit im Bett. Wir spielten auf einer alten Schultafel Schwarzer Peter. Als er starb, waren meine jüngsten Tanten noch nicht volljährig. Meine Oma – noch keine 50 Jahre alt. Sie schaffte es dennoch, allen Kinder die gewünschte Ausbildung zu ermöglichen. Mit einem Bauernsacherl, welches mehr einem Blumentopf denn einem Bauernhof ähnelte. Im Winter öffneten wir viele Nüsse und übergaben sie dem Bäcker. Als Gegenleistung gab es Brot und andere Grundnahrungsmittel, die er im Gei verkaufte. Ich wuchs in dem Haus auf. Mir fehlte es an nichts und ich hatte eine unbeschwerte Kindheit. Jetzt, als Erwachsener, begreife ich, welche Leistung meiner Großmutter abverlangt wurde. Und wie bravourös sie es geschafft hat. Nun haben ich und mein Mann das Haus übernommen und renoviert. Aber ich stehe ehrfürchtig vor den Fußstapfen, die mir in diesem Haus präsentiert werden, denn sie sind groß.

© Karin Sieder 2022-10-23

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