DAS HIMBEERGUTTI

Micaela Hemesath

von Micaela Hemesath

Story

“Kölle Alaaf“! Der Aufruf für die Jeckenzeit in der Hochburg des Karnevals. Als Tochter einer Kölnerin habe ich diese Gene für die fünfte Jahreszeit nicht geerbt. Ich finde es eher ziemlich doof, mir eine Nase aufzusetzen und auf Kommando fröhlich zu sein. Meine Opernsängerinmutter hat sich gerne den Karnevalszug im Fernsehen angeschaut, wahrscheinlich in Erinnerung an ihre Jugend. In ihrem Nachtlokal gab es immer tolle Bälle und meine “Starmutter” schmetterte ihre Arien.

So bin ich in Bayern mit dem Fasching aufgewachsen und es war begrenzt lustig. Vielleicht noch auf dem Viktualienmarkt, mit den verkleideten Standlweibern und ein Faschings-Umzug mit dem Ende im Hofbräuhaus.

Nach diversen Kinderbällen fand mein erster echter Ball in der Hotelfachschule in Bad Reichenhall statt. Hier ging es ja eher sehr züchtig zu. Der Schlaftrakt für die männlichen Hotelfachschüler war abends mit einem Eisengitter verschlossen, hin zum Trakt der weiblichen Schüler. Ein Zusammentreffen der beiden Geschlechter, wie es bei diesem Ball stattfand, war natürlich ein Highlight! Mein damaliger Freund, Antonio, ein Argentinier, freute sich schon sehr auf den Abend, wo er ganz offiziell mit mir Schmusen konnte. Ich kam als Bauchtänzerin, mit dem Hingucker im Bauchnabel: Ein Himbeergutti. (Himbeerbonbon). Vorher habe ich es noch ein bisschen angeleckt, dass es auch schön kleben bleibt. Sogar der Herr Schuldirektor schaute wohlwollend auf meinen Bauch und schmunzelte. Es folgten ein paar heiße Tänze und schwupps, das Gutti war weg. So ganz “ohne” wollte ich auch nicht bleiben, also fingen wir an, auf dem Boden nach dem Bauchschmuck zu suchen. Es schlossen sich noch zwei Freundinnen an, alle Kopf nach unten, doch das Gutti hatte sich verschüsst. Mir fiel ein, man könnte doch ein Stück Würfelzucker nehmen. War etwas sperrig, hielt aber besser. Mein “Diamant” blieb tatsächlich den ganzen Abend kleben und selbst bei heftigen Rock `n`Roll Schwüngen blieb das Zuckerstückerl an seinem Platz.

Was für eine harmlose Zeit, wo noch ein Himbeergutti im Bauchnabel für einen Hingucker sorgte!

Viele Jahre später mit Mitte vierzig verkleideten sich meine Verkäuferin und ich uns als Ölscheichs mit langen Gewändern und angeklebten Bärten. Wir räumten die Auslage meiner Boutique aus und stellten uns als lebende Schaufensterpuppen hinein. Wenn Passanten vorbeigingen, jagten wir ihnen einen Schrecken ein, wenn wir uns aus unserer starren Pose wegbewegten und Grimassen schnitten. Zwischendurch kam mal eine Kundin einkaufen, dann gab es ein Glaserl Sekt und einen Faschingskrapfen und dann wieder rein in die Auslage. Manche Salzburgerinnen schüttelten indigniert die Köpfe, Fasching hatte noch nie bei ihnen stattgefunden. Seit dem bei mir auch nicht mehr.

Bleibt die Erinnerung an ein Gutti, was es für einen Pfennig gab.

Foto: Shiraz Henry

© Micaela Hemesath 2022-01-30

Hashtags