Das Internetz

Lea Hartmann

von Lea Hartmann

Story

„Das ist das Internetz!“, schimpft Oma und ich bereite mich mental auf eine stundenlange Predigt bezüglich des bösen World Wide Webs vor. Immerhin gibt es heute ihre berüchtigten Eierkuchen, diese machen das Gespräch ein wenig erträglicher und saugen ihren Ärger über die heutige Gesellschaft wie Schwämme auf.
„Mit 73 möchte ich persönlich nicht mehr lernen mit einem Handy umzugehen. Aber zum Glück trifft es meine Generation auch nicht so sehr wie deine. Wir sind noch in der Lage uns einfach mal anzurufen oder vorbeizukommen, wenn wir was wollen.“ Sie tunkt ihr Stückchen Eierkuchen in den Apfelmus und schiebt ihn sich dann in den Mund.
„Was soll denn das heißen?“, frage ich nun, keineswegs vorwurfsvoll aber dennoch etwas schroffer als gewollt. Ich fühle mich jedes Mal ein wenig persönlich angegriffen, wenn sie dieses Thema beginnt.
„Ich meine ja nur, das die sozialen Interaktionen immer mehr verloren gehen. Ich wette, du schreibst mehr mit deinen Freunden, als du persönlich mit ihnen redest. Streitereien werden über Nachrichten ausdiskutiert, anstatt einfach mal anzurufen und Klartext zu reden. Früher war unser Dorf noch so lebhaft. Jetzt sieht man kaum noch jemanden draußen.“
Ihre Stirn legt sich in Falten und ich bin mir sicher sie überlegt sich noch weiterer Beispiele, die sie mir präsentieren kann. ich habe nicht vor, weiter auf dieses Thema einzugehen. Das wäre zwecklos und ohne Erfolg.

„Das Leben draußen stirbt fast schon aus. Jeder sitzt mehr am Handy, anstatt die Zeit für etwas Sinnvolles zu nutzen. Man trifft sich kaum noch zufällig, alles wird geplant. Das ist doch langweilig. Ich sage dir, wir hatten die besten Nachmittage durch unerwartete Besuche. Aber versteh mich nicht falsch Mäuschen, es hat sicher auch viele Vorteile, die ich vielleicht nur noch nicht sehen kann.“
Meine Mundwinkel heben sich bei ihrem Versuch dem ganzen auch etwas Positives abzugewinnen. Ich kratze den Rest Apfelmus von meinem Teller und lecke genüsslich meinen Löffel ab. „Ach Oma, zerbrich dir nicht immer so den Kopf darüber. Solange wir uns noch jede Woche persönlich sehen ist doch alles super, oder? Da müssen wir uns keine Gedanken um den Rest machen.“
Als wir gemeinsam das Geschirr abspülen habe ich das Gefühl, sie hat mit dem Thema noch nicht abgeschlossen aber sie sagt nichts mehr. Stattdessen unterhalten wir uns über das Wetter, was wir am Sonntag zum Mittag essen wollen und darüber das ihre Nachbarin Martina nun schon die dritte Katze in ihrem Haus aufgenommen hat.
Kurz darauf verabschiede ich mich mit einer dicken Umarmung von ihr und mache mich wieder auf den Heimweg.

Zwei Stunden später sitze ich endlich auf meiner Couch und kann die Beine hochlegen. Doch als ich mich dann stundenlang durch Gruppenchats auf WhatsApp und die neusten Posts auf Instagram scrolle frage ich mich, ob Oma vielleicht doch recht hatte?


© Lea Hartmann 2023-08-10

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Inspirierend, Unbeschwert, Reflektierend
Hashtags