Das Internetz

Lea Hartmann

von Lea Hartmann

Story

»Wem sagt du das, Brigitte, wem sagst du das? Ich stimme dir voll und ganz zu!«
Mit hochgezogenen Brauen schaue ich zu meiner Oma. Während unseres gemeinsamen Mittags hatte ihre Freundin Brigitte angerufen, um sich mit ihr über Gott und die Welt zu unterhalten. Da Oma ein wenig schwerhörig war, kann ich durch den Lautsprecher das ganze Gespräch mitverfolgen.
»Und es wird immer schlimmer«, Brigittes Stimme nahm nun einen wehmütigen Tonfall an.
»Meine eigenen Enkel kommen kaum noch zu mir. Lieber rufen sie mich an, mit Video. Inge, ich wusste bis vor Kurzem nicht einmal, dass sowas möglich ist!«
Darüber muss selbst Oma schmunzeln, sie ist über die Möglichkeiten der Technik etwas besser informiert als ihre langjährige Freundin. »Klar, Gitti, mit Handys ist vieles möglich. Nachteile und Vorteile wiegen da fast gleich auf. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, aber über SMS kann ich zum Beispiel immer mal mit meiner anderen Enkelin aus Berlin telefonieren. Noch dazu sendet sie mir immer mal schöne Bilder. Per Post würde das ewig dauern!«
Am anderen Ende ist ein unzufriedenes Grummeln zu hören. Mit dieser Einsicht hat Brigitte wohl nicht gerechnet. »Trotzdem!« Entgegnet sie dann, ein Argument, ungefähr so stark wie das eines dreijährigen.
»Durch die Teile kommt die Jugend doch gar nicht mehr raus. Unser Dorf ist wie ausgestorben. Schrecklich. Früher hat man immer mal noch, wen gesehen und konnte kurz schwatzen. Heute muss ich mich vier Tage vorher telefonisch ankündigen, ehe ich vorbeikomme.« Oma verdreht die Augen, aber nicht, weil sie Brigitte nicht zustimmt, viel mehr, weil sie jetzt gerade keine Lust auf dieses ausufernde Gespräch hat und lieber mit mir Mittag essen möchte.
»Wem sagst du das!«, wiederholt sie sich also nur und schon geht Gitti in die zweite Runde. »Dabei waren spontane Treffen früher immer die Besten! Man hat sich die Meinung noch ins Gesicht gesagt. Wenn ich manchmal mitbekomme, was meine Enkel alles so ihren Freundinnen sagen. Per Textnachricht … das kann ich überhaupt nicht verstehen. Dann treffen sie sich auch noch zum Filme schauen im Internet. Da kommt keiner einfach so vorbei. Der reine Wahnsinn.« Ich höre, wie Gitti laut Luft holt, um sich von ihrem Monolog zu erholen. Oma stimmt ihr erneut mit einem: »Genau, wem sagst du das!« zu. Danach macht sie kurzen Prozess und verabschiedet sich von Gitti.

»Tut mir leid! Manchmal ist sie so im Redefluss und da ist es schwer ein Ende zu finden«, sie grinst mich an und isst dann auch endlich ein Stück Eierkuchen. »Das ist kein Problem, Oma. Alles gut! Was denkst du denn über ihr Gesagtes?« frage ich, ehrlich interessiert. »Na ja, in vielen stimme ich ihr zu. Es ist schade zu sehen, wie immer mehr soziale Interaktionen vom persönlichen ins technische rücken und Menschen so von diesen sozialen Medien beeinflusst werden. Ein paar Vorteile hat es dennoch, wie ich vorhin gesagt habe. «Ich nicke, denn sie hat recht. Handys, soziale Medien, das World Wide Web. All das konnte man nicht nur schwarz-weiß sehen. Es hatte viel mehr Facetten. Dann zuckte Oma nur mit den Schultern. »Aber egal, wie sehr wir uns beschweren. Das Internetz ist jetzt eben ein Teil unseres Lebens. Damit muss jeder klarkommen.«

© Lea Hartmann 2023-08-18

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Unbeschwert, Reflektierend
Hashtags