von Gerhard Maier
Wir werden in Situationen hineingeboren. Sind diese angenehm, nimmt man es gerne an und fragt nicht viel. Im besten Fall ist man dankbar, im schlechteren Fall kann man sich Ersatzprobleme suchen.
Anders ist es, wenn man sich in schwierigen Situationen wiederfindet, wenn man krank ist, kaum das Auskommen findet, wenn man geringgeachtet oder gar diskriminiert wird, vielleicht um sein Leben bangen muss. Man kann zwar nach dem “Warum” fragen, muss aber jederzeit mit Schlimmen rechnen.
Ich kenne Syrer, deren Wohnung ich für die Ev. Pfarre hergerichtet habe. Eltern mit vier Kindern. Den drei Burschen geht es am besten, zwei arbeiten, einer geht zur Schule. Wie die Tochter, die darf aber sonst nicht außer Haus. Ebenso wenig wie die Mutter, die gut Deutsch spricht. Dem Vater, ein Ingenieur ohne Arbeit, geht es gar nicht gut. Er kann nur ein paar Worte Deutsch, die er zum Teetrinken mit mir auspackt, in der Familie spielt er den Pascha. Wie lange wird es wohl dauern, bis diese Menschen bei uns wirklich angekommen und glücklich sind?
Ich kenne gut integrierte Bosnier. Aldin hat eine Estrich-Firma, er kann sich gut verständlich machen, seine Eltern sind nach 30 Jahren weit davon entfernt. Sohn Amit führt seine Sprüche in Pongauer Dialekt, nur sein Aussehen erinnert an einen Haremswächter. Amit ist bei uns längst angekommen.
Mein Neffe Philipp hatte eine Meraner Mutter, die in jungen Jahren ganz plötzlich verstorben ist. Es ist keine Zeit geblieben, mit ihr viel über Südtirol zu reden, unser Hauptthema waren die Kinder.
Mit Volkmar, Philipps Opa in Meran hatte ich heute ein Telefonat. Auf der Frage nach seiner Familiengeschichte waren seine Antworten diesmal ausführlich. Hier ein paar Notizen: Von Mayrhauser, sein Großvater, wollte1942 von Südtirol nach Deutschland, er verkaufte im Pustertal vier Bauernhöfe, den fünften Hof brachte er in der Eile nicht los. Volkmars Eltern hatten 1935 in Bozen geheiratet und waren bereits in Deutschland. Sein Vater war ein in Südtirol unerwünschter Journalist, der 1933 von Italien des Landes verwiesen wurde und in Berlin Karriere machte. 1943, sieben Wochen nach Volkmars Geburt, wurde die Familie ausgebombt, Vater starb. Mutter zog mit den Kindern nach Erlangen zum Großvater, der schickte sie bald weiter, sie landeten in Kitzbühel. 1950 machte sich der nicht verkaufte Heufler-Hof in Südtirol bezahlt, er ermöglichte die Rücksiedlung. Nach drei Jahren wurde der zu abgelegene Hof in Oberrasen/Antholzertal verkauft, dafür konnte zwei große Häuser in Meran erworben werden. Eines davon ist heute noch der Familiensitz, wo auch Philipp öfter zu Besuch sind.
Philipps Mutter hat ins Salzburger-Land geheiratet, er ist im Pongau bestens integriert, trotzdem ist er auch Südtiroler. Hier muss ich einen Spruch von Robert Palfrader zitieren. Seine Antwort auf die Frage, warum er sich als Südtiroler bezeichne, wo er doch in Wien geboren ist: Ein Kalb, das in einer Garage zur Welt kommt, ist auch kein Auto.
© Gerhard Maier 2021-07-21