Das Kind im Cockpit

Story

Für unseren knapp siebenjährigen Sohn bedeutete seine erste wirklich große Reise zugleich seinen ersten Flug, mit den British Airways von Wien nach New York, der durch ein Erlebnis bereichert wurde, wie es kaum ein Kind jemals noch haben wird.

Wr befanden uns irgendwo über dem Atlantik, als eine Stewardess zu uns kam und unseren Sohn fragte, ob er vielleicht gerne den Piloten im Cockpit besuchen würde. Natürlich wollte er das tun und ging mit noch einem zweiten kleinen Buben, einem Amerikaner, der in der Nähe saß und noch ein wenig jünger war als unser Sohn, mit der Stewardess nach vorne.

Als er nach zwanzig Minuten noch nicht zurück war, ging mein Mann ebenfalls Richtung Cockpit, aber da auch er nicht zurück kam, nahm ich an, dass man auch ihn ins Cockpit gelassen hatte, was er ja heimlich gehofft und geplant hatte, wie er später zugab.

Erst nach mehr als einer halben Stunde brachte die Stewardess die beiden kleinen Buben und auch meinen Mann, den großen Buben, zu ihren Sitzen zurück. Die Kinder waren beladen mit kleinen Geschenken der Airline, Malbüchern, Stiften, kleinen Flugzeugen und dgl. und strahlten übers ganze Gesicht. Zudem hatte jeder der beiden Buben ein Polaroidfoto bekommen, auf dem beide zusammen abgebildet waren, im Hintergrund das Armaturenbrett des Cockpits.

Auch mein Mann, selbst Techniker, war sehr angetan, denn er hatte sich mit dem Piloten prächtig unterhalten. Die Buben durften sogar einmal selbst den Autopiloten kurz abschalten und wieder einschalten, und tatsächlich hatte man auf dem sonst völlig ruhigen Flugabschnitt einmal einen kleinen Ruck verspürt.

Wenn man das heute, nunmehr auch schon wieder 30 Jahre später, jemandem erzählt, erntet man meist ungläubiges Kopfschütteln bei den Jüngeren und Ausdrücke des Bedauerns über die veränderte Welt, in der wir leben, bei den Älteren. Aus heutiger Sicht ist so etwas ja absolut undenkbar und ich fürchte, es wird auch nie wieder so werden. Unser Sohn wird sicher einmal seinen Nachkommen von diesem Erlebnis erzählen, denn auch er ist schon ein Zeitzeuge einer mittlerweile längst vergangenen Welt, in der niemand daran dachte, ein Flugzeugcockpit abzuschließen, und wo nicht nur kleine Kinder den Piloten besuchen durften, sondern auch ein erwachsener Mann. In dieser Phase waren die Flugzeugentführungen der 70er Jahre wahrscheinlich schon vergessen und die Möglichkeit eines Geschehens wie 9/11 lag wohl außerhalb jeder denkmöglichen Phantasie.

Das Foto, das die beiden Buben im Cockpit zeigt, hängt heute noch an meiner großen Magnetwand in der Küche und ich sehe es mir oft ein wenig wehmütig an. Es ist eine Erinnerung an eine Zeit, die noch ein wenig mehr Vertrauen in die Menschheit hatte und nicht überall gleich das Potential einer Gefahr oder einer Katastrophe sah, wie wir es ja heute schon alle praktisch immer und überall tun. Rückblickend gesehen mag es zwar ein wenig naiv gewesen sein, wenn man bedenkt, was später alles geschah, aber schön war es doch.

© 2022-10-13