Alles, was unter 18 ist, ruck zuck, ab durch die Mitte, hieß es nach Abspielen des „Augenzeugen“ (Wochenschau – DDR) im Kino. W. L., Jahrgang 1928, äußerte ca. 1985 im Büro, zum Arbeitsdienst durften sie zum Kriegsende noch und hatten bestimmt andere Sachen zu sehen bekommen als seichte Kinofilmchen. Sie waren jedoch noch keine 18. Wurde ein Film erst ab diesem Alter gezeigt, durften sie nicht bleiben. Er kannte die Platzanweiserin vom Ansehen, mein Vater ebenso. Mir ist die Dame auch noch manchmal begegnet in der Stadt meiner Jugend. Sie hatte immer extrem geschminkte Lippen. Mein Vater war Jahrgang 1935. Er sah von seinen Kameraden am erwachsensten aus. Mit einem tief ins Gesicht geschoben breitkrempigen Hut gelang es ihm tatsächlich, ins Kino und auch durch die Kontrolle nach dem „Augenzeugen“ zu kommen. War es zweifelhaft, wie alt ein junger Mensch ist, wurde der Personalausweis verlangt. Diejenigen unter seinen Kameraden, die noch wie „Milchreisbubis“ aussahen, hatten keine Chance. Ich weiß nicht, ob es da um den Film „Das Bad auf der Tenne“ ging. Darüber würden heutige Jugendliche, von Anfang an mit dem Internet vertraut, nur feixen. Wir waren als Schüler oft im Klassenverband im Capitol, um gemeinsam Filme zu sehen, die im Lehrplan standen. Ich hatte mal an einem Preisausschreiben der Kinderbücherei teilgenommen und alle Fragen richtig beantwortet. Zu einer Veranstaltung im Kino bekam ich ein Buch. Mein erster Gewinn!
Später war im Untergeschoss des Gebäudes eine auch für die Öffentlichkeit zugängliche Kantine eines nebenan befindlichen Betriebsteils der Volltuchwerke.
Mein Vater sammelte alle Filmprogramme. Seine Kameraden und er rannten Sonnabend nach der Vorstellung im Capitol noch durch die ganze Stadt zum Kino „Weintraube“ im Nachbarort Neukirchen, um einen weiteren Film sehen zu können. Für körperliche Ertüchtigung war auf diese Weise auch gesorgt. Anfangs ihrer Berufstätigkeit hatten sie sonnabends noch bis mittags zu arbeiten und die Maschinen zu putzen. Die Filmspulen wurden zwischen den Filmtheatern hin und her transportiert bzw. getauscht. Oft kehrten die jungen Männer auf dem Heimweg noch auf ein Bier und eine Bockwurst irgendwo ein. Fernsehen gab es noch nicht. In dem Gebäude, an dem ich 10 Jahre lang auf dem Schulweg vorbeilief, war früher auch ein Kino. Meine Eltern hatten 1977 in dem Haus am Mannichswalder Platz ihre theoretische Ausbildung für den Mopedschein.
Spätere Lieblingssendungen meines Vaters im Fernsehen: Zum Blauen Bock mit Heinz Schenk, Musikantenstadl mit Karl Moik, Königlich-bayerisches Amtsgericht; alte bayerische Stücke, z. B. Der verkaufte Großvater; Peter Steiners Theaterstadl. Mit angesehen als Jugendliche habe ich sonnabends gern die auch über die Grenze zu empfangenden Sendungen von Blacky Fuchsberger sowie „Einer wird gewinnen“ mit Hans-Joachim Kulenkampff.
1973 Weltfestspiele in Ost-Berlin: Die Jugend der Welt war zu Gast bei einer Jugend, die nicht in die Welt durfte. (Wolf Biermann im Interview)
© Annemarie Baumgarten 2025-04-05