Das Klacken der Murmeln

Leonike

von Leonike

Story

Gon Gon, Gon Gon, Gon Gon. So klingt mein Herz und jeder kann es hören. Die Frau hinter mir, die sich fragt, ob diese Schlange hin zu der kleinen Türöffnung des Zuges je ein Ende hat, der kleine Junge mit seinem City-Roller, der in den Zug späht und seinem Kumpel durch die Glasscheibe zuklopft. Der Schaffner, der den Zug verlässt und geduldig wartet, bis die Fahrgäste aus- und wieder eingestiegen sind. Sie alle können dieses pochende Organ in meiner Brust hören, welches keine Ruhe findet. Der Takt bildet den perfekten Einklang mit meinen Gedanken, welche hinter meiner Stirn hin und her schnellen, wie Murmeln auf einer Murmelbahn und wenn sie ganz rechts, oder links angekommen sind klackt es, wie deren Glas auf dem hölzernen Gestell. Jetzt stellt man sich noch vor, dass neben, unter, über und diagonal von dieser Bahn weitere Bahnen sind mit noch mehr Murmeln, welche klacken und rollen. Das können sie nicht hören, die Menschen. Nur ich kann das. In der Lautstärke eines ACDC Konzerts, auf welchem ich direkt in der Mitte eines Kreises stehe, welcher entsteht, wenn man mit einem dünnen Bleistift alle Lautsprecher des Konzertes verbindet. Nicht außer Acht zu lassen ist die Hintergrundmelodie, welche wie ein lautes Summen Tausender fleißiger Bienen, welche von Blume zu Blume irren, an mein Ohr dringt. Hinein mischt sich jetzt auch das viel zu beißend grelle piepen der sich schließenden Türen des Zuges und das leichte wummern, des nun anfahrenden Fahrzeugs.

Doch am lautesten ist noch immer das Gon Gon, Gon Gon, Gon Gon. Jedenfalls nehme ich es am lautesten wahr. Womöglich auch, durch den immer stärker werdenden Druck, welcher sich am Ursprung dieses Geräusches ausbreitet und dazu führt, dass sich eine seltsam abhärtende Leere ausbreitet, welche langsam, wie ein Lehrer vor einem Mathetest, kleine Trennwände vor die kullernden Murmeln schiebt, sodass sie sich anstauen, zu kleinen bunten gläsernen Bergen, welche jede Sekunde weiter wachsen, bis sie über die Trennwand hinweg quillen.

Genau wenn das passiert, das Anstauen der Murmeln, die Leere in meiner Brust, dann wird mein Kopf schwer, als ob gerade eine Handgranate hineingelegt wurde, welche droht jede Sekunde zu explodieren.

Und manchmal frage ich mich, was wäre, wenn …

Was wäre, wenn ich diese Granate einfach explodieren ließe, statt sie zu verdrängen und dort zu lassen, wie die Ruhe vor dem Sturm? Was wäre, wenn ich den Sturm kommen lasse, statt ihm auszuweichen, oder statt mich unterzustellen?

Nein. Lieber lasse ich die Granate ticken, die Murmeln überquillen, den Druck stärker werden, das Klacken klacken und das Klopfen klopfen, bis ich Abends im Bett liege, all das hinter mir lasse und mich vorbereite auf den nächstmöglichen Sturm, bis ich einschlafe und mich endlich eine angenehme Taubheit überkommt.

© Leonike 2021-07-03

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