von Karin Prassl
„Auf der bunten Blumenwiese geht ein buntes Tier spazieren, wandert zwischen grünen Halmen, wandert unter Schierlingspalmen, freut sich, dass die Vögel singen, freut sich an den Schmetterlingen, freut sich, dass sich´s freuen kann. Aber dann….“ Dann ging’s los. Damals. Vor Jahrzehnten. Als ich begann, Geschriebenes zu lieben. Aufzusaugen. Mit den Ohren. Mitzusuchen. Auf den Blumenwiesen. Ich habe sie gesehen, die bunten Schmetterlinge. In allen Farben. Ich habe sie herausgehört. Aus diesen Aneinanderreihungen. Von Zeichen. Die ich noch nicht kannte. Und die doch in die Freiheit durften. Wenn sie mir die großen Menschen vorlasen. Diese wussten, wie sie zu deuten waren.
Ich fand das spannend. Staunte. War mitten drin in den Abenteuern. Suchte mit dem KLEINEN ICH BIN ICH von Mira Lobe mein eigenes ICH BIN ICH. Traf den Frosch. Der meinte, das Ich ist dumm, wenn das Ich nicht weiß, wer es ist. Spazierte zu den Pferden, die fanden, meine Haare würden ihren ähneln, aber meine Beine würden nicht passen. Ein Hasen-Katzen-Hund würde Ich sein. So ganz allein. So habe Ich mich gefühlt. Als ich mich mit dem Boot zu den Fischen rettete, die in allen leuchtenden Farben ihre Kreise um mich zogen, konnte Ich mich wiederum nicht finden. Ich sei wohl eher ein bunter Vogel als ein Fisch. Ich sei nicht Katz, nicht Maus.
Keiner wusste, wer Ich bin. Auch nicht Ich. Als die Nacht brach dann herein, hörte mir der Mond schon zu. Ein Himmelbett nannte ich mein. Keiner wusste, wer könnte Ich sein. Eine Hundemeute fiel über mich herein. Ein bunter Hund, das würde Ich niemals sein. Alle meinten, Ich sei Keiner. Keiner von ihnen. Keiner von den anderen. War Ich zu groß, machte Ich mich klein. War Ich zu dick, aß Ich weniger. Waren meine Locken zu wirr, bürstete ich sie zu glatten Strähnen.
Und irgendwann da merkte Ich dann: ICH BIN ICH. So wie ICH bin. Nicht anders. Genau so bin ICH richtig. Genau da, wo Ich bin! Und auf einmal war Ich alles auf einmal: ein bunter Schmetterling der durch die Natur flog. Ein grüner flinker Frosch. Ein wendiges Pferd mit stolzer Mähne. Ein Hasen-Katzen-Hund, je nachdem wonach mir gerade war. Ein blitzschneller Fisch im Wasser. Und wenn Ich aus dem Wasser sprang, konnte Ich fliegen, wie der bunteste Vogel auf der Welt. Und Katz und Maus schauten mir voll Freude zu. Und den Hunden des Lebens zeigte Ich die kalte Schulter. Ohne Angst. Und wenn der Mond mit seinen Freunden, den Sternen auf die Welt blickte, winkte Ich hinauf. Voller Freude. Weil Ich wusste, sie alle leuchten auch für mich.
Und so begann ich Geschriebenes zu lieben. Tauchte ein in alle Welten, die ich sehen und hören wollte. Spüren und erleben wollte. War ICH selbst – in allen Leben, die Ich so erlesen durfte.
Aus dem kleinen suchenden ICH BIN ICH wurde das Große ICH. Das bin Ich noch immer. Oder vielleicht deswegen.
Die Welt ist bunt. Bunt wie die Bücher. Bunt wie die Worte. Bunt wie wir alle. Schön, dass es sie gibt! Diese Regale. Mit den Büchern. Aufeinander. Nebeneinander. Und überhaupt.
© Karin Prassl 2021-10-20