von Robert Schwarz
Hoch droben am Ende der Schlucht, wo es schon flacher wird, steht das kleine, blaue Zelt mit dem roten Eingang auf einer schmalen Terrasse. Stehen ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, den es krallt sich am Boden fest, dem starken Wind trotzend, der schon den ganzen Nachmittag vom Meer her die Schlucht heraufblĂ€st. Einmal ist es ganz niedergedrĂŒckt, dann bĂ€umt es sich wieder auf, um gleich darauf von den Böen hin und her gebeutelt zu werden.
Es dĂ€mmert schon, als ich vom Meer zurĂŒckkomme. Der Sturm hat gegen Abend immer mehr zugenommen und es sind jetzt auch die schwarzen Wolken schon da, die vor kurzem noch ganz unauffĂ€llig am Horizont zu sehen waren.
Ich betrachte mein Zelt wie es sich gegen den Wind stemmt. In einem Baum in der NĂ€he, mit seinen kleinen, harten BlĂ€ttern, braust und rauscht es, als ob im alle BlĂ€tter ausgerissen werden. Aber der Baum kennt dieses Spiel schon lange und steht fast unbekĂŒmmert da.
Kaum bin ich im Zelt, bricht das Unwetter erst richtig los. Die ZeltwĂ€nde biegen sich bedrohlich herein, einmal links, einmal rechts, dann von vorne. Dazu kommt jetzt das Prasseln des Regens. Wenn jetzt was bricht, oder das Ăberzelt sich losreiĂt, oder.. oder…
Trotz der Dunkelheit kann ich das ZeltgestĂ€nge sehen, wie es sich windet und verbiegt und doch immer wieder an seinen Platz zurĂŒckkehrt. Eben war ein besonders starker WindstoĂ. Wenn das Zelt den ausgehalten hat, kann nichts mehr passieren, denn ein stĂ€rkerer kann doch kaum mehr kommen. Irrtum! Der Sturm nimmt immer noch an StĂ€rke zu. Ab und zu lĂ€sst er fĂŒr einige Augenblicke nach. Meine Hoffnung, dass der Höhepunkt ĂŒberschritten ist, macht er aber sogleich wieder zunichte. In den kurzen Verschnaufpausen scheint er nur Anlauf fĂŒr eine noch gröĂere Wucht zu nehmen.
Mittlerweile hat es auch zu Blitzen begonnen – vom Donner ist in dem Getöse ohnehin nichts zu hören. Die Blitze kommen mir viel greller vor als zu Hause und bringen noch zusĂ€tzlich Leben in die flatternden Zeltplanen. Alles tobt. Es gibt keine Ruhe mehr. Wo ist oben und wo ist unten, vorne, hinten, links, rechts..? Von allen Seiten stĂŒrzen die wildgewordenen Elemente auf das Zelt ein. Chaos!
Wieder macht der Sturm eine Atempause. Der nÀchste Windstoà wird gleich kommen. Die Pause ist lÀnger als sonst. Gleich muss es wieder losgehen. Noch immer nicht. Es wird doch nicht doch endlich vorbei sein.
Noch immer nichts. Ist das Unwetter wirklich zu Ende?
Fast mit einem Schlag war der Sturm vorbei, auch der Regen und das Gewitter. Es ist jetzt ganz ruhig, nur ab und zu hebt sich noch leise die Zeltplane, als ob sie einmal tief durchatmen wĂŒrde.
Es steht noch – mein Zelt.
Robert Schwarz 4.12.1993
© Robert Schwarz 2024-11-19