von Albina Hovhera
„Russische Seele besteht zur Hälfte aus Alkohol“, scherzt man über die Trinkfestigkeit der russischen Bevölkerung. In diesem Scherz steckt auch ein Teil der Wahrheit; die russische Geschichte ist reich an verrücktesten Beispielen von Rauschaktionen: so vergab Zar Peter der Große eine Medaille „für das Trinken“ an seine Untertanen, Genosse Chruschtschow verschenke im Vollrausch die Krim und Russlands erster Präsident Boris Jelzin (sein Motto lautete „Wer nicht trinkt, ist verdächtig“) tanzte sturzbetrunken auf dem Roten Platz in Moskau, dirigierte ein Orchester in Deutschland und lief in Unterhosen vor dem Weißen Haus herum. Also, die Russen trinken wirklich viel, zumindest die russischen Staatsmänner.
Meinen ersten Vollrausch hatte ich im stolzen Alter von 16 Jahren nach dem heimischen Fuselwein mit einem vielversprechenden Namen –„Das Lächeln der Mona Lisa“. Ich wusste damals nicht, wie die Mona Lisa lächelt, aber die schadenfrohe Grimasse meiner Cousine, die mich am nächsten Morgen kniend vor der Kloschüssel fand, blieb noch lange in meiner Erinnerung. „Unsere Heldin umarmt gerade ihren weißen Freund“, hörte ich ihre bissige Stimme im Flur, sie telefonierte gerade mit einer Freundin, ‚dass jemand mit einem Taxi nach Hause kommt oder auf allen Vieren kriecht – das wundert mich nicht, aber mit einer Feuerwehr, das ist wirklich originell‘.
Mit einer Feuerwehr? Was für einen Unfug erzählt sie da? Die Erinnerungen an den gestrigen Abend waren verschwommen: Alles fing bei Tanja zu Hause an; ihre Eltern waren für ein paar Tage abgereist, und wir wollten die Freiheit ausgiebig feiern. Zu zweit machten wir uns an die Flasche heran und tranken sie schnell aus. Plötzlich hörten wir ein leises Miauen, wir schauten hinaus – auf dem Dach gegenüber saß ein kleines Kätzchen und miaute herzzerreißend. Beflügelt vom Lächeln der Mona Lisa beschlossen wir auf das Dach hinaufzuklettern, um das arme Wesen zu retten.
Ich konnte mich nur erinnern, wie wir auf dem alten dunklen Dachboden herumirrten und nach dem Ausgang suchten. Den spannendsten Teil – wie wir auf das steile Giebeldach hinaufstiegen – löschte sich aus meinem Gedächtnis aus. Oben wurde es uns dann klar, dass wir denselben Fehler gemacht haben wie unsere samtpfötige Gesinnungsschwester: nach oben hinaufgeklettert, trauten wir uns nicht hinunterzusteigen. Zu dritt saßen wir auf dem Dach und schauten verzweifelt hinunter. Irgendwann fiel unser erbärmliches Trio den Nachbarn aus dem Haus gegenüber auf und sie riefen die Feuerwehr an.
„Nein, das Ganze kann nicht wahr sein, ich habe es nur geträumt“, flüsterte mein vom Rausch getrübter Verstand. „Miau“, hörte ich plötzlich einen leisen Mucks hinter mir. Ich schaute mich im Bad um und dann sah ich es – aus der dunklen Spalte unter dem Badeschrank leuchteten mir zwei große Augen entgegen. „Miau“, wiederholte die Mieze und kuschelte sich auf meinen Fuß. „Hallo, Mona Lisa“, begrüßte ich sie liebevoll.
© Albina Hovhera 2022-01-13