Das Lächeln der Wüste

Betül Kiper

von Betül Kiper

Story

Die Wüste ist heiß, gefährlich und tückisch. Doch vor allem ist die Wüste ein Meer voller Geheimnisse. Lass dich nicht von ihren Wellen und ihrem spitzen Lächeln täuschen, denn wenn du ihrer nicht würdig bist, wird sie auch kein Erbarmen mit dir haben. Dabei kommt es nicht darauf an, sie zu überqueren, sondern sich ihr zu beweisen. Du musst stets mit Bedacht vorgehen, denn hinter jeder Falle kann eine Hilfe und hinter jeder helfenden Hand ein Skorpion versteckt sein. Die Wüste ist hart und schwierig, doch wann immer der Weg Schwierigkeiten aufweist, kann man sich sicher sein, dass am Ende das Glück wartet. Niemand stellt Fallen auf, wenn er nicht ein Schatz besitzt, den er beschützen will. „Wenn du es schaffst, den Fallen der Wüste die Stirn zu bieten und dich als würdig zu erweisen, wirst du den Schatz finden und dein Selbst wird sich dir offenbaren, so klar wie der Sternenhimmel in der Nacht.“ Sie wusste nicht, warum sie sich gerade jetzt an die Worte des alten Blinden, erinnerte, aber es fühlte sich an, als hätten sich seine Worte für sie bewahrheitet. Das Mädchen blickte auf den Spiegel im Wasser und fand etwas wieder, von dem sie nicht wusste, dass sie es überhaupt verloren hatte. Sie blickte in das Gesicht vor ihr und musste zu ihrem Erstaunen feststellen, dass sie die Person, die sie sah, nur schwer wiedererkannte. Die Stirn stand in Falten, die Augenbrauen waren zusammengezogen und die spröden Lippen fest aufeinander gepresst. Dann waren da noch die Augen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so traurige Augen gesehen. Jetzt verstand sie, was der alte Beduine mit seinen Worten gemeint hatte. Aus ihrem rechten Auge rutschte eine einzelne Träne, die auf ihr Spiegelbild im Wasser fiel und das Wasser unruhig machte, sodass sich ihr Gesicht für einen Moment verzerrte und wieder zu sich fand, nachdem sich das Wasser beruhigt hatte. Das Mädchen schaute erneut auf ihr Spiegelbild herab. Diesmal hatte sich etwas verändert an dem Bild, das sich in der kleinen Quelle spiegelte. Sie blickte unentwegt in das Gesicht vor ihr und dann bemerkte sie es. Sie lächelte. Sie fühlte wie sich ihre Gesichtsmuskeln daran gewöhnten und die Anspannung sich langsam löste. Sie lächelte, und zwar so weit, dass es ihre Augen erreichte. Sie lächelte so breit, dass die Höhle, in der sie sich befand, zuerst von der Quelle aus, vor der sie stand und dann in alle Ecken und Kanten hin in warmes Licht eingetaucht wurde und sich ihr der Ausgang, den sie davor vergeblich gesucht hatte, nun von selbst offenbarte. Sie war gekommen, um den Schatz zu finden, den ihr die Räuber geraubt hatten, doch stattdessen fand sie ihr Lächeln wieder. Sie verließ die Höhle mit ihrem Lächeln, dass die Höhle erleuchtet hatte und mit dem Entschluss es diesmal fest zu beschützen und dachte an die Worte, die ihr der Spiegel in der Quelle in letzter Sekunde bevor die Höhle vom Licht durchflutet wurde, zugeflüsterter hatte. „Das Lächeln ist der größte Schatz des Menschen.“

© Betül Kiper 2022-08-12

Hashtags