von Renate Karosser
Marianne und Matthias hatten zur Feier ihrer goldenen Hochzeit eingeladen. Unter den GĂ€sten einige, die mir bis dahin nicht bekannt waren, aber auch ein paar, mit denen ich tatsĂ€chlich das letzte Mal vor 50 Jahren, also bei der Hochzeit in Wismar und auf Poel, Kontakt hatte. âMensch, Renate, das gibtâs ja nicht, dass wir uns nochmal begegnen in diesem Leben. Aber ich erinnere mich noch gut an dich, rank und schlank, in diesem fantastischen lachsroten Abendkleid!â … da war es âraus. Plötzlich war die Rede nur noch von diesem Kleid, das ich damals trug und das sich offensichtlich bei so vielen ins GedĂ€chtnis eingeprĂ€gt hatte. Ich wusste nicht recht, sollte ich stolz oder beleidigt sein, weil sie nicht mich, sondern das KleidungsstĂŒck so bewunderten. Egal, es ist lange her und eigentlich ganz lustig zu hören, womit man in seiner Jugend so Eindruck gemacht hatte. Dabei fĂŒhlte ich mich damals mit 19 gar nicht unbedingt wohl in dem Kleid, ein bisschen overdressed sogar, eine Situation, in die mich die Schwester des BrĂ€utigams gebracht hatte, aber dazu spĂ€ter mehr.
Zwei Jahre zuvor hatten meine Eltern den notwendigen Kauf eines angemessen festlichen Abendkleides fĂŒr meinen Tanzkursabschlussball am Gymnasium zum Anlass genommen, einen Ausflug nach Regensburg zu unternehmen, zum âShoppingâ wĂŒrde man heute sagen. ZurĂŒck nach Hause kamen wir mit einem klassisch geschnittenen langen Kleid, das mir passte, wie angegossen, will heiĂen: meine tolle Figur so richtig schön betonte. Bis zu jener denkwĂŒrdigen Goldenenhochzeitsfeier hĂ€tte ich es gar nicht âlachsfarbenâ beschrieben, sondern eher rot oder orange, aber wenn ich mir die Fotos von seinerzeit so betrachte, kommt die Farbe vom Lachs schon am ehesten hin.
FleiĂige TĂ€nzer, wie Hermann und ich damals waren, kam das Kleid natĂŒrlich nicht nur beim Tanzkurs zum Einsatz, sondern auch auf Stadt- und SportlerbĂ€llen und dann war da diese Einladung zur Hochzeit an der Ostsee. Einen Dresscode gab es nicht, darum packte ich einen selbstgeschneiderten schwarzen Rock ein mit eingenĂ€hten Spitzenstreifen, klassisch, aber auch ein wenig romantisch, jedenfalls nicht zu elegant. Um aber auf alle EventualitĂ€ten vorbereitet zu sein, nahm ich zusĂ€tzlich mein rot/orange/lachsfarbenes langes Kleid mit auf die abenteuerliche Reise quer durch die Nation hinein in die DDR, deren Verlauf genĂŒgend Stoff fĂŒr eine eigene Geschichte hergĂ€be.
Auf Poel, zur Hochzeitsfeier, hatte ich mich fĂŒr den schwarzen Rock entschieden. Alle weiblichen GĂ€ste waren in âlangâ gekommen. Da traf ich auf Sibylle, Matthiasâ Schwester, die das nicht hat kommen sehen und nur âkurzesâ im GepĂ€ck hatte. GroĂzĂŒgig kam ich ihr entgegen und trat ihr meinen langen Rock ab. Ich wĂ€hlte notgedrungen das lachsfarbene lange Kleid, mit dem ich groĂen Eindruck machte … wie sich 50 Jahre spĂ€ter herausstellen sollte.
SchlieĂlich fand das denkwĂŒrdige KleidungsstĂŒck irgendwann ganz den Weg in die DDR, denn, wie ich bei der goldenen Hochzeit auch erfahren habe, landete es nicht in der Kleidersammlung, sondern meine Mutter legte es einem ihrer zahlreichen Pakete an die âOstverwandtschaftâ bei, womit sie einer Nichte des BrĂ€utigams damals durchaus noch eine groĂe Freude bereiten konnte.
© Renate Karosser 2025-07-08