Das längste erste Date

Isabel Rehra

von Isabel Rehra

Story

Wenn Dating ein Wettbewerb wäre, und die Dauer der Zweisamkeit das Ziel, dann würde ich ausnahmsweise weit oben stehen.

Es war mein letzter Sommer in Atlanta und ich war mehr als froh, noch einen Auftrag als Fotografin an Land gezogen zu haben. Also stand ich mit Kamera vor den Toren des Piedmont-Parks zum Color-Run. Ich wurde einem Bereich zusammen mit einem Jungen namens Taylor zugeteilt. Ein großer, strohlblonder Teddybär. Wir kamen ins Gespräch. Und wie die Augen eines Singles nunmal so sind, wurde er sofort in die Schublade “nice, aber nicht heiß” geschoben. Doch wir quatschten noch, als alles längst am abbauen war.

“Your crazy matches my crazy”, sagte der angehende Anwalt mit Bauchansatz. Aber sein Äußeres spiegelte diese Theorie wohl kaum wieder. Dann schlug er vor, mich zum Essen einzuladen. Ich sah an mir herunter. Color-Run. Keine Ahnung wie sein Shirt weiß bleiben konnte, meins war durchtränkt von Schweiß und jeder nur erdenklichen Farbe. Aber ich fühlte mich von der Aussage herausgefordert und gab ihm tatsächlich eine Chance. So kam es dazu, dass ich mich vor einer Bar wiederfand, die sich die Musikrichtung “Metal” als Thema gesucht hatte. Er lächelte mit ganzem Körper, während ich mir ohne zu zögern das Mikrofon schnappte und vor versammelter, tiefschwarzer Mannschaft “Wannabe” von den Spice girls in die Karaokemaschine grölte. Danach füllte sich unser Stehtisch mit neuen, langhaarigen Freunden und ich hatte nie zuvor solche Tränen gelacht.

Als wir satt waren, schleifte er mich in ein Kostümgeschäft, wo wir verschiedene Echt-Metall-Schwerter ausprobieren durften. Später bestellte er auf perfektem Mandarin beim Chinesen und uns wurde eine Schüssel lebendiger Würmer und Maden serviert. Dann fielen wir rücklings auf die Ladefläche meines Trucks und starrten in den Himmel. Irgendwann, als es Abend wurde und wir uns unsere Lebensgeschichten erzählt hatten, musste ich ihm recht geben. Er hatte irgendwie genau den Nerv bei mir getroffen, der meine Augen funkeln ließ. Natürlich genau 3 Wochen, bevor mein Visum auslief und ich das Land verlassen musste … Ich wollte noch so viel machen und so viel sehen; Alaska, Hawaii, die Bahamas.

“My best friend lives in Alaska”, meinte Taylor. Er wollte ihn schon lange besuchen. Wir könnten den nächsten Flieger nehmen. Er und ich.

Ich stockte. Da hatte ich jahrelang mit meiner Spontanität geprahlt… aber niemals so! Doch alles in mir sagte ‘in 20 Jahren würdest du es bereuen.’ Und so saß ich im Flugzeug neben Taylor, landete in Anchorage mit den 3 Sachen, die ich schnell in meinen Rucksack geworfen hatte. Die Hälfte der 10 Tage campten wir in der Wildnis mit Bären und Elchen, aßen nur das, was die Natur uns gab. In der anderen konnte ich zum ersten Mal in meinem Leben Polarlichter beobachten. (Oder auch nicht. Denn ich hatte gewisse Brownies gegessen…)

Es kam nie zu einem Kuss, vielleicht weil wir wussten, dass es nie funktionieren würde. Wir waren auf andere Weise ineinander verliebt.

© Isabel Rehra 2021-10-16

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