Das Leben auf dem Kopf (Teil 1)

Tina Doeffinger

von Tina Doeffinger

Story

Auf dem Kopf steht mein Leben.

Da ist es also. Ich habe es schon gesucht, aber findet es keinen anderen Platz als da oben? Wobei oben auch ein relativer Begriff ist bei 163cm.

Ist mir deshalb etwas schwindelig, weil es mir den Kopf eindrückt? Dort oben platziert, ist es nicht gerade leicht, obwohl es im Moment so grundsätzlich gar nicht so furchtbar schwer ist.

“Wir sollten reden“, sage ich zu ihm. “Könntest du mal absteigen?“ Ich kann mit der Last deines Gewichtes nicht denken und dir nicht in die Augen schauen.“

“Kann ich machen“, sagt es und steigt etwas mühsam herunter.

“Sag mal, was bringt dich denn auf die Idee, dich auf meinen Kopf zu stellen?“, und wo warst du vorher eigentlich? Kannst du da nicht wieder hin?”

“Das sind viele Fragen auf einmal“, sagt das Leben und massiert sich nebenbei die Füße.

“Ich weiß es auch nicht genau“, sagt es, “eines Morgens befand ich mich auf einmal neben der Stelle, wo ich vorher war”. “Und es schien, dass ich im Laufe der Zeit ein wenig verrückt wurde, von wem und was auch immer.“ Und da dachte ich,” ich stelle mich einmal auf deinen Kopf, damit ich vielleicht eine bessere Aussicht habe und mir von dort aus einen neuen Platz suche, an dem ich bleiben kann.”

“Verstehst du, was ich meine?“ sagt es mit einem Blick, der auf mein Verständnis hofft.

“Ich ahne schon, fährt es fort, ohne meine Antwort abzuwarten, dass auf deinem Kopf stehenzubleiben, keine so gute Idee ist.” “Aber wo soll ich denn hin?“Ich möchte ja niemandem im Weg stehen und keine Stolperfalle sein.”

“Das verstehe ich gut“, sage ich. “Komm lass uns darüber nachsinnen, wo ein guter Platz für dich sein könnte.“

“Wie wär’s“, sagen wir nach einer Weile fast gleichzeitig und sehen uns dabei in die Augen,” wir könnten nebeneinander laufen“, sage ich.

“Du meinst: Hand in Hand?“

“So oder so“ antworte ich.

“Das klingt gut“, sagt das Leben,” dann bin ich immer in Bewegung”. „Aber darf ich mich dann trotzdem manchmal auf deinen Kopf stellen?“, “also ganz kurz nur“, fügt es eilig hinzu. “Wohl der guten Aussicht und der neuen Perspektive wegen”, erwidere ich grinsend.

“Ja,” auch nur wenn mir die Aussicht fehlt und ich nicht sehe wie und wo es weitergeht.“

“Das kann aber mitunter auch eine Weile dauern“, bemerke ich nachdenklich. “Dann müsste ich mir wohl einen anderen Gang angewöhnen, langsamer und Balance haltend, während du mir auf dem Kopf stehst.“

“Diese Übung kann nicht schaden“, sagt das Leben, “auch für das Gehen nebeneinander.”

© Tina Doeffinger 2022-12-28

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