Müde vom Suchen setzte sie sich auf eine Bank, die, wie für sie geschaffen, zufällig am Rand des Weges stand. Um sie herum die betörenden Farben des Herbstes. Der Himmel war blau wie an schönen Sommertagen, die Luft klar und fast schon winterlich kalt. Sie vergrub ihre Hände in den Taschen ihres Mantels und atmete tief durch. Sie wusste nicht genau, wo sie war.
Lange war sie gegangen, einfach nur gegangen. Immer weiter und weiter. Zuerst durch von Menschen dicht besiedeltes Gebiet, dann durch eine ebene, kahle Landschaft. Noch begegneten ihr Menschen, deren grüßendes Lächeln ihre Seele wärmte.
Irgendwann war sie plötzlich allein. Um sie herum Bäume, viele Bäume. Ein Wald oder ein Park? Ihre vom Gehen müde gewordenen Füße begannen zu schmerzen und ihre Gedanken verhedderten sich erinnerungsschwer in unauflösbar scheinende Knäuel. Die Bank, auf der sie sich nun ausruhen konnte, war wie ein Geschenk des Universums ihr zugefallen.
Die Stille um sie herum war wohltuend und sanft, die ihren inneren Bildern Raum zur Entfaltung gab.
Die Bilder ihres Lebens zogen an ihr vorbei und forderten Beachtung und Aufmerksamkeit in einem wilden Konkurrenzkampf. Atmen, einfach nur atmen, dachte sie, um ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen.
Sie dachte: Das Leben ist ein langer Fluss, der irgendwann ins Meer mündet. In ein Meer der Unendlichkeit, der Ungewissheit. Sie spürte das Leben in sich, den Herzschlag, die Wärme in ihren Händen, die Kälte in ihrem Gesicht. Den Schmerz in ihren Füßen, der langsam leiser wurde. Auch der Schmerz ist Leben. Nichts mehr spüren ist Tot-sein. Das wollte sie nicht. Sie entschied sich für das Leben, immer wieder, jeden Augenblick neu.
Neue Energie strömte durch ihren Körper. Die Schatten der Vergangenheit verloren sich im Nirgendwo. Ganz dem Hier und Jetzt zugewandt, ging sie weiter. Das Laub raschelte unter ihren Füßen, bei jedem Schritt.
Der Weg ist das Ziel. Ein Satz, den sie oft gehört und gelesen hatte. Wenig tröstend in seinem abgegriffenen Weisheitsanspruch. Sie ging und ging und wusste nicht, wohin. Durch einen Wald führte ihr Weg. Hohe Bäume säumten ihn, die kaum Licht durchließen. Gespenstisch schön war es, einfach so dahinzugehen, während die Gedanken langsam leiser wurden.
Sie kam zu einer Lichtung. Die Bäume warfen lange Schatten. Noch schien die Sonne mit letzter Kraft, bevor sie am Horizont in leuchtendem Rot untergehen würde. In der Ferne sah sie Häuser. Sie bewegte sich auf diese Zeichen menschlicher Behausungen zu und hoffte, dort Orientierung zu finden. Bald würde es dunkel werden und kalt. Noch kälter, als es jetzt schon war. Sie spürte Sehnsucht nach einem wärmenden, schützenden Bett, in dem sie sich verkriechen und den Schlaf des Vergessens schlafen könnte.
Ihre Füße trugen sie weiter und weiter. In der Ferne sah sie Rauch aufsteigen. Wärme, Geborgenheit und Liebe zum Greifen nahe.
© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2021-11-13