Das letzte Gespräch

Sabine Prag

von Sabine Prag

Story

Die Schatten begannen sich über das Tal zu legen. Letzte Sonnenstrahlen streiften den Friedhof; verschwanden.

Nun also waren wir da, wir zwei, ein letztes Mal. Ich hatte dich begleitet; die letzten 48 Stunden und auch die letzten drei oder vier Jahre.

Kein letztes Gespräch mehr; du hattest es mir verweigert; dich entzogen mithilfe deiner Krankheit. Ich schaute dein Bild an, vorwurfsvoll. Das war unser Tochter-Mutter-Verhältnis. Keine konnte es der anderen recht machen. Du hattest mich in eine Rolle gezwungen, die wir beide nicht wollten. Die Tochter Mutter der Mutter; es empörte mich immer noch. Obwohl: nun war ich ja befreit!

„Wieso sind wir nicht zusammen gekommen?“ fragte ich dein Bild. Noch immer trug ich die Sehnsucht nach einer harmonischen Beziehung im Herzen, die Mutter Freundin der Tochter. Und umgekehrt. Wir hatten es nicht geschafft. Schaffen das irgendwelche Mütter und Töchter? Saßen wir einem Märchen auf? Einem Frauenmärchen?

Dein Leben lang wolltest du gebunden sein. „Allein“, war dein Spruch, „ist es im Himmel nicht nett.“ Ich hatte dich verachtet dafür. Wie kann man nur sein Leben verschenken, weil es keinen Begleiter – männlich! – gab? Deine Reiseträume – das Geld hattest du. Sehnsuchtsort Ayers Rock…Kein Restaurantbesuch allein; gerade mal ein Kaffee in einem Brot-Bistro. Dafür Shoppen. Unmengen an Schnick-Schnack, Geschirr, Deko-Nippes… Das meiste irgendwohin verstaut und vergessen.Es beutelte mich. Diese Ersatzbefriedigung!

Ich hatte die Rede zu deiner Verabschiedung verfasst, sie gehalten. In diesen wenigen Tagen zwischen deinem Tod und dem Begräbnis war ich dir näher gekommen. Hatte der Traurigkeit deiner langen Witwenschaft nachgespürt. Du warst eine erfolgreiche Frau gewesen, so sah ich es. Beruflich tough. Hast zwei Kinder groß gezogen, phasenweise alleine. – Ach, immer alleine, natürlich. Kinder-Carearbeit ist doch Frauensache! Das Geld verdient und teilweise auch den Mann mit ernährt. Als er jobsuchend war und ausgemustert. Aber jung genug, um dich zu betrügen. Immerhin: das hast du dir nicht gefallen lassen.

Du hast das Haus gebaut und bezahlt; alleine. Nach seinem Schuldenfiasko bist du arbeiten gegangen; hast dir diese Selbstständigkeit nie mehr nehmen lassen. Aber: alleine ist es im Himmel nicht nett! Da halfen keine Kinder oder Frauen – es musste ein Mann sein. Der auch kam, aber verstarb. Und dann? Selbst in deinen letzten verwirrten Tagen flüstertest du mir noch zu, es gäbe einen. Verschwörerisch, du, und dass ich es nicht wissen durfte – die alte Rivalität mit der Tochter? Wieder warf ich deinem Bild einen düsteren Blick zu. Ich schüttelte den Kopf.

Du bist doch eine toughe Frau gewesen, flüsterte ich. Du hast doch so viel geschafft! Ich hielt inne.

Sie hatte wirklich viel geschafft in ihrem Leben. SIE! Ich begann zu lachen: Mama, du warst ja eine Feministin!

Es schüttelte mich vor Lachen. Das Bild – ich schwöre – das linke Auge: es zwinkerte mir zu. Nun konnte ich gehen.

© Sabine Prag 2023-03-05

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