Das letzte Hotel

Parastu Akifi

von Parastu Akifi

Story

Das war wirklich nicht mein Traumjob. Aber mir war alles recht, um nicht mehr weiter zu Hause leben zu müssen. Deswegen nahm ich ihn an und unterschrieb den Arbeitsvertrag schon bald. Das Sheraton-Hotel befindet sich direkt am Frankfurter Flughafen. Es ist einfach gigantisch, luxuriös und klassisch schön. Ich war für das morgendliche Wohlbefinden der Gäste verantwortlich – also für den Kaffee. Nachdem die Gäste abgereist waren, reinigte ich in den entsprechenden Zimmern die Kaffeemaschinen und platzierte neue Pads. Die Minibar wurde wieder aufgefüllt, die leeren Wasserflaschen durch neue ersetzt. Ganz simpel eigentlich. Und obwohl ich anfangs nicht viel davon hielt, mochte ich es irgendwann, zur Arbeit zu gehen. Ich hatte in wenigen Wochen die unterschiedlichsten Menschen aus der ganzen Welt getroffen. Für gewöhnlich waren die Zimmer leer, in denen ich arbeitete, doch manchmal erblickte mich ein Gast im Flur, und wir unterhielten uns. Die Menschen waren immer interessant – und unfassbar freundlich. Außerdem wurde mein Englisch stetig besser. An einem Donnerstag, eine halbe Stunde vor Ende meiner Schicht, lief ich gerade den letzten Flur entlang. „Excuse me, Miss!“ Ein großer, stämmiger Mann – etwa Ende fünfzig, mit Schnauzbart – schaute aus einem der Zimmer. Seine runde, schwarze Brille betonte die Pausbäckchen, und die dunklen Locken ließen ihn unfassbar sympathisch wirken. Bestimmt ist er der Lieblingsonkel in der Familie, ging mir durch den Kopf, während ich auf ihn zuging: „How can I help you, Sir?“ Er sah mein Namensschild und wechselte sofort ins Persische. Eigentlich hatte er nur Durst und hoffte, eine Flasche Wasser zu bekommen – doch zehn Minuten später hatte er mir seinen Lebenslauf erzählt. Ein Pilot, der oft im Ausland war und seine Familie vermisste.Vielleicht erinnerte ich ihn an seine Tochter. Er war offenbar froh, einen „Hamzabun“ (Gleichsprachigen) getroffen zu haben – in einem Hotel, fast 4000 km von seiner Heimat entfernt. Während unseres Gesprächs vergaß ich völlig die Zeit – und dass noch Arbeit auf mich wartete. Ich entschuldigte mich höflich und ging zum Flur an den Servierwagen, um das Wasser zu holen. Statt es mir an der Tür aus der Hand zu nehmen, zeigte er mit einer Handbewegung, dass ich es auf der Kommode abstellen solle. Plötzlich überkam mich ein ungutes Gefühl, während ich die Flasche abstellte.
Ich drehte mich um – und wusste augenblicklich, warum. Er hatte die Tür hinter sich zufallen lassen und kam langsam auf mich zu, den Blick fest auf mich gerichtet.
Der Mann war zwei Köpfe größer, aber ich versuchte, nicht in Panik zu geraten.
Zärtlich strich er mir über den Arm und versprach mir leise, dass ich es nicht bereuen würde.
Seine Tonlage hatte sich verändert, und sein starkes Aftershave brannte mir in der Nase.
Ich rannte los in Richtung Tür, doch er packte mich fest am Arm und zog mich zurück.
Instinktiv trat ich mit voller Wucht nach hinten aus – und traf sein Bein.
Eine Millisekunde lang ließ der Druck an meinem Arm nach, und ich konnte mich befreien. Ich rannte sofort aus dem Hotel und direkt zum Zug. Inmitten der Reisenden liefen mir die Tränen über die Wangen. Und ich beschloss: Ich würde nie mehr dahin zurückgehen.


© Parastu Akifi 2025-06-12

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Traurig