von Judith Steinbach
Atmen. Einmal. Zweimal. Langsam beruhigte ich mich wieder und konnte klar denken. Zum gefühlt 1000-mal strich ich den Rock meines marineblauen Kleides glatt, was aber an sich keinen großen Unterschied mehr machte. Unruhig biss ich auf meine Lippe (eine schlechte Angewohnheit von mir, wenn ich nervös wurde). Meine Nervosität stieg von Minute zu Minute und ich fand nichts, um mich abzulenken. Ich spielte mit dem feinen Goldarmband mit einem kleinen herzförmigen Anhänger, das um mein Handgelenk gebunden war. Das Armband war ein Glücksbringer, den ich von meinen Freundinnen geschenkt bekommen hatte. Bevor meine Nervosität mich in den Wahnsinn treiben konnte, bekam ich eine Nachricht von meinen Freundinnen, die mir Glück wünschten und mir versprachen mir ganz fest die Daumen zu drücken. Ich lächelte. Am liebsten hätten sie mich bis hier herbegleitet, aber das hier musste ich alleine schaffen. Es war meine Entscheidung, meine Zukunft und niemand, sonst konnte mir diese Entscheidung abnehmen.
Bevor ich weitere Atemübungen machen konnte, bekam ich ein Zeichen und der Vorhang öffnete sich. Das Licht der Scheinwerfer blendete mich und ich musste ein paar Mal blinzeln, Applaus brannte auf und als er verebbte setzte die Musik ein. Das Vorspiel hatte begonnen. In meinem Kopf ging ich noch einmal den Text des Liedes durch. Und dann kam mein Einsatz. Ich begann zu singen und war von mir selbst überrascht. Meine Stimme füllte den Raum und ich hörte auf nachzudenken. Es gab nur noch mich und die Musik. Ich hatte das Lied monatelang geübt und jeder einzelne Ton saß wie auswendig gelernt. Ich lächelte während ich sang. Schließlich endete das Lied und aufgeregter Beifall ertönte. Ich lächelte und verbeugte mich einmal. Im Publikum entdeckte ich mehrere vertraute Gesichter, was mein Lächeln noch breiter werden ließ.
Dann schloss sich der Vorhang wieder und die nächste Teilnehmerin kam auf mich zu, ich lächelte ihr motivierend zu und suchte mir dann meinen Platz hinter den Kulissen. Ich sank die Wand hinunter und schloss die Augen, ein glückliches Lächeln auf den Lippen. Ich hatte es geschafft! Keine Ahnung, wie lange ich so da saß und den vergangenen Auftritt Revue passieren. Auf einmal hörte ich ein Geräusch und blickte auf. Ich sah direkt in zwei dunkle Augen und konnte nicht verhindern das mein Herz begann zu flattern. Ich hatte ihn von der Bühne aus gar nicht gesehen. Er lächelte und hielt mir eine Hand hin und ich ließ mich dankbar von ihm hochziehen. Er reichte mir eine einzelne Rose. Ich nahm sie und betrachtete die Blume einen Moment lang, dann sah ich wieder ihn an. „Du warst unglaublich“, meinte er und dann beugte er sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich lächelte.
Keine Ahnung wie meine Zukunft weitergehen würde, ob ich den Wettbewerb gewann, ob aus uns irgendwann mehr werden würde als Freunde. Ich wusste es nicht, aber ich freute mich darauf, es herauszufinden.
© Judith Steinbach 2025-01-17