von Amelie Lea Beck
Ich würde das Meer, vor allem Barhi, in diesem Leben so sehr vermissen. Dennoch kann ich nicht in zwei Welten leben. In der Welt des Meeres würde ich eine Prinzessin werden, wahrscheinlich würde ich mit dem Prinzen sogar Liebe erfahren. Jeden Tag würde ich mir ein Kleidungsstück selbst wählen können. Ich hasste es immer, in diesem endlosen grau zu leben. Wenn ich in der See lebte, vielleicht könnte ich den Streit der Nationen schlichten. Wieso hassten sich die beiden Welten nur so? Auch wenn es unwahrscheinlich war. Mir wird bewusst, dass ich meine Eltern fragen muss, warum ich so bin wie ich bin.
Es kostete mich viel Ăśberwindung, das Thema beim Abendessen anzusprechen. Meine Mutter steht auf, um zu Bett zu gehen, da traue ich mich endlich danach zu fragen.
“Mutter, Vater, ich weiß nicht, ob euch bewusst ist, dass ich nicht nur Teil dieser Stadt bin.”, beginne ich. Ich erzähle ihnen jeden Detail der letzten Tage. Immer wieder sehe ich die Panik, die in ihren Gesichtern aufflammt. Tränen steigen in die Augen meines Vaters, als ich schließe: “Ich kann hier nicht dauerhaft leben. Die Welt unter dem Wasser, hinter der Mauer ist so bunt, so farbenfroh. Es tut mir leid.” Ich senke den Blick. Stumm betrachte ich die Maserung des Tisches.
“Oh mein Liebling.”, sagt meine Mutter. Sie erhebt sich, um mich in die Arme zu schließen. “Du bist meine Tochter, wir wussten, dass du in beide Welten gehörst. Das hat uns damals die Hebamme gesagt, die mich in meiner Schwangerschaft begleitet hat. Wie haben es nicht geglaubt. Sie war etwas verrückt. Aber offensichtlich hatte sie Recht. Was du über diesen Barhi gesagt hat stimmt ebenfalls mit ihrer Prophezeihung überein. Sie hat behauptet, du würdest einen Prinzen heiraten und könnest so irgendwie beide Welten vereinbaren.”
“Ich soll den Frieden wiederherstellen, Mutter? Ich bin doch noch ein Kind, wie soll ich das denn machen? Bis vor zwei Wochen war mein einziger Lebensinhalt, einen jungen Burschen zu heiraten. Ich kann das niemals schaffen, das ist euch doch sicher bewusst.”
“Du musst mein Liebling”, meldet sich nun mein Vater zu Wort, “wenn du diesen Meermann heiraten willst, hast du keine andere Möglichkeit. Aber mach dir keine Sorgen, wir werden bei jedem Schritt an deiner Seite sein.“ Mein Vater streicht mir liebvoll ĂĽber den Kopf. Nun steigen Tränen in meine Augen. Seit ich ein Kind war, hasste ich die Aufmerksamkeit. Ich wollte lieber im Schatten eines anderen leben. Nun wĂĽrde ich nicht nur die Neue in einer anderen Welt sein, sondern auch eine Rede vor dem König, ja all seinen Ministen halten mĂĽssen. Ich schluckte schwer. Mein Atem ging schneller. Die Hand meiner Mutter legt sich auf meine Schulter. Sie zieht mich langsam an sich. Leise weine ich in ihrer Brust.
“Die Götter wissen, weshalb sie dich ausgewählt haben, meine Liebe. Du bist sicher die Richtige für diese Aufgabe. Vater Leben sorgt für uns, vertraue ihm.”, flüstert sie mir ins Ohr.
“Mama, was ist damals geschehen?” Meine Stimme zittert.
© Amelie Lea Beck 2022-05-21